Fenstersectio KSW

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund und Ziel

Die Geburtserfahrung hat langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden einer Frau (Simkin, 1991). Obschon die Mehrheit der Frauen mit ihrer Sectio zufrieden ist, zeigt sich, dass zwischen 6% und 28% der Frauen mit ihrer Sectio unzufrieden sind. Diese Unzufriedenheit zeigte sich bei den Frauen mit einem Gefühl, während der Sectio ignoriert zu werden, die Kontrolle zu verlieren oder nicht informiert zu werden (Coates, Thirukumar, & Henry, 2020). Ausserdem sind Frauen nach einer Sectio anfälliger für postnatale Depressionen, haben häufiger Schwierigkeiten beim Bonding und dem Stillen (Dewey, Nommsen- Rivers, Heinig, & Cohen, 2003; Mercier & Durante, 2018).

Die Erfahrung im Wochenbett zeigt, dass Frauen

  • nach einer Sectio über eine „Lücke“ berichten, die durch die Sichtbarriere bei der Sectio ihres Kindes entsteht.
  • äussern, dass sie zwar kognitiv wissen, dass dieses ihr Kind ist, aber es emotional anfänglich als
  • schwierig empfinden, diese Verbindung zu ihrem Kind aufzubauen, da
  • das visuelle Erlebnis der Geburt fehlt.
  • dass es zu schnell ging, und sie dem Prozess nicht folgen konnten.

Aus oben genannten Gründen, soll die sogenannte "sanfte Kaiserschnittgeburt" ("gentle caesarean section") gefördert werden. Dazu gehören das Zusehen der Geburt des Kindes während der Sectio mittels einem speziellen Abdecktuch der OP-Technik ("Fenster") und ein früher Haut-zu-Haut – Kontakt von Mutter und Kind (Bondingtuch).

Voraussetzungen

Es muss sichergestellt sein, dass das behandelnde Team das Konzept der Fenstersectio kennt und weiss, dass die Öffnung des Tuches jederzeit abgebrochen werden kann.

Ausserdem müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

  • Wunsch der Frau/ des Paares nach Zusehen bei der Sectio
  • Eingriff wird in Regionalanästhesie durchgeführt
  • Keine Komplikationen zu erwarten
    (Kindsentwicklung, Plazentalösung, Atonie, vermehrte Blutung)
  • Gestationsalter: ermessen Operateur  

Kontraindikationen

  • Patientinnen mit psychischen Vorerkrankungen, Traumata
    (nach Abklärung)
  • Sprachliche Verständigung erschwert bzw. nicht möglich
  • Notfallsectio
  • Erschwerte Kindsentwicklung erwartet
    (z.B. MMV, erwartete umkehrte BEL-Entwicklung)
  • Fetale Fehlbildungen
  • Placenta praevia, praevia marginalis

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Dieses Angebot erfordert eine gut eingespielte interprofessionelle Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Teams (Hebamme, Geburtshilfe, Anästhesie, OP-Team) mit klarer Aufgabenzuteilung:

  • Das Anästhesieteam ist für das Öffnen des Fensters auf Aufforderung des Geburtshelfers / der Geburtshelferin verantwortlich
  • Das Anästhesieteam ist dafür verantwortlich, dass der Frau die Sicht auf das Kind ermöglicht wird (ev. zusätzliches Kissen notwendig)
  • Die Hebamme ist für das Kind und die perinatale Versorgung des Kindes verantwortlich

Mögliche Zeitpunkte der Fensteröffnung

Prinzipiell ist eine Fensteröffnung während des gesamten Eingriffes möglich. Wir erachten es aber sinnvoll, die Fensteröffnung auf die Dauer der Kindsentwicklung, Abnabelung und Übergabe an die Hebamme zu beschränken. Das Zeitfenster für die Fensteröffnung muss individuell festgelegt und beim Team- Timeout abgefragt werden.

Das Fenster muss jederzeit auf Anweisung einer an der OP beteiligten Person geschlossen werden können.

Vorbereitung

  • Aufklärung und Vorbereitung über Sectio und Ablauf gemäss hausinternen Standard Sectio
  • Die Operateurin/ der Operateur legt mit dem Paar den Zeitpunkt des Zuschauens fest. In der Regel soll die Sicht nach Entwicklung des Kopfes freigegeben werden, damit die restliche Entwicklung, die Abnabelung nach Beginn des Schreiens bis zur Abgabe an die Hebamme sichtbar wird. Danach wird das Sichtfenster wieder geschlossen.
  • OP-Anmeldung erfolgt wie immer, im Team-Timeout wird besprochen, ob es eine Fenstersectio sein wird und ab welchem Zeitpunkt das Fenster geöffnet wird.

Ablauf

  • OP- Vorbereitung gemäss hausinternem Standard Sectio
  • Patientin und Begleitperson werden vor der Sectio von der Operateurin / dem Operateur nochmals gefragt, ob das Zuschauen immer noch erwünscht ist.
  • Beim Timeout wird nochmals explizit das Zeitfenster des Zuschauens abgefragt.
  • Dokumentation im Geburtsbericht, OP-Bericht und Geburtenbuch, dass die Sectio als Fenstersectio stattgefunden hat.

Information über das Angebot

Frauen, bei denen eine Sectio geplant ist, werden im Rahmen des Geburtsprocederegesprächs über den Eingriff und die Möglichkeit der Fenstersectio informiert und aufgeklärt.

Am Infomorgen für werdende Eltern wird auf das Angebot aufmerksam gemacht.

Literatur

Christoph P, Aebi J, Sutter L, Schmitt KU, Surbek D, Oelhafen S. The extended gentle caesarean section protocol-expanding the scope and adding value for the family: a cross-sectional study. Arch Gynecol Obstet. 2023 May;307(5):1481-1488. doi: 10.1007/s00404-023-06913-0. Epub 2023 Jan 16. PMID: 36645503; PMCID: PMC10110671

Coates, D., Thirukumar, P., & Henry, A. (2020). Women's experiences and satisfaction with having a cesarean birth: An integrative review. Birth, 47(2), 169-182. doi:10.1111/birt.12478 Version 1, erstellt September 2021 durch Ch. Diebold, M. Hodel, M. Casutt, P. Schulze L. Kneubühler, L. Vetter 3/3 3/3

Dewey, K. G., Nommsen-Rivers, L. A., Heinig, M. J., & Cohen, R. J. (2003). Risk factors for suboptimal infant breastfeeding behavior, delayed onset of lactation, and excess neonatal weight loss. Pediatrics, 112(3 Pt 1), 607-619. doi:10.1542/peds.112.3.607

Mercier, R. J., & Durante, J. C. (2018). Physician and Nurse Perceptions of Gentle Cesarean Birth. MCN Am J Matern Child Nurs, 43(2), 97-104. doi:10.1097/nmc.0000000000000404

Simkin, P. (1991). Just another day in a woman's life? Women's long-term perceptions of their first birth experience. Part I. Birth, 18(4), 203-210. doi:10.1111/j.1523-536x.1991.tb00103.x

Autor: R. Brun
KSW-Version: 1.0, 06/2025