HIV bei Schwangerschaft und Geburt
Inhaltsverzeichnis- Abkürzungen
- HIV-Screening
- Allgemeines zur ART in der Schwangerschaft
- Überwachung während Schwangerschaft unter ART
- Eintritt zur Geburt ohne HIV Test
- Geburtsmangement
- Spontangeburt
- Elektive Sectio Caesarea
- Antiretrovirale Therapie unter der Geburt
- Erstversorgung des Neugeborenen
- Neonatale Postexpositionsprophylaxe (Neo-PEP)
- Hygienemassnahmen für das Personal
- Hygiene beim Neugeborenen
- Wochenbett
- Stillen
- Aktuell kann in der Schweiz nicht zum Stillen geraten werden
- MoCHIV Studie (Swiss Mother and Child HIV Cohort Study)
- Literatur
Abkürzungen
- AC = Amniozentese
- ART = antiretrovirale Therapie
- BAG = Bundesamt für Gesundheit
- CVS = Chorionzottenbiopsie
- EL= Einleitung
- KSE = Kopfschwartenelektrode
- MBU = Mikroblutuntersuchung
- MM = Muttermund
- NNRTI = non NRTI
- NRTI = Nucleosid reverse transcriptase inhibitiors
- PI = Protease inhibitors
- PPROM = Preterm prelabour rupture of membranes
- VBS = vorzeitiger Blasensprung
- VE = Vakuumextraktion
HIV-Screening
- Jeder Schwangeren soll bei der ersten Konsultation ein HIV-Test angeboten werden, sollte sie diesen nicht explizit ablehnen (opt-out) wird er im Rahmen der Routine-Serologie entnommen. Vor der Durchführung ist sie darüber zu informieren (pre-test counceling).
- Bei fehlendem HIV-Screening sollte dies baldmöglichst nachgeholt werden
- In Risiko-Situationen (Drogenabusus, Partner mit HIV-Infektion) Wiederholung im III.Trimenon
- Partner-Mittestung anstreben in Risikosituationen
Allgemeines zur ART in der Schwangerschaft
- Ziel Suppression der Virusreplikation (HIV-RNA nicht nachweisbar: <50 HIV-RNA Kopien / ml Blut)
- Verschreibung der ART durch behandelnden Infektiologen
- Beginn ART zur Transmissionsprophylaxe: optimal vor Beginn der Schwangerschaft. Ist die Schwangere nicht antiretroviral behandelt, Behandlungsstart 13 0/7 SSW bis 24 0/7 SSW, bzw. nach Abschluss der Organogenese
- Je höher die initiale Viruslast, umso wichtiger ist der frühe Beginn
- Besteht bereits vor der Schwangerschaft eine ART, sollte diese nicht unterbrochen werden, allenfalls Umstellung nach Prüfung auf Teratogenität. Die fetale Ultraschallfeindiagnostik sollte empfohlen werden.
- Perikonzeptionelle Folsäureprophylaxe 0,4 – 0,8 mg täglich
Überwachung während Schwangerschaft unter ART
- Blutbild (Anämie, Thrombopenie)
- Leber- und Nierenwerte bei der ersten Konsultation, danach mindestens alle 3 Monate
- Bestimmung der Hepatitis B und C Serologie sowie Lues. Bei fehlender Hepatitis-B-Immunität: Hepatitis-B-Impfung. Bei zusätzlicher HBV-Infektion sollte Tenofovir Teil des antiretroviralen Regimes sein. Bei Hepatitis-B oder C Co-Infektion: Hepatitis-A-Impfung.
- Cervixzytologie bei erster Schwangerschaftskontrolle mit Kolposkopie von Cervix, Vulva und Perianalregion, Biopsie wenn kolposkopisch suspekt.
- Vaginaler Infektabstrich (Chlamydien, Gonokokken, allg. Bakt) zu Beginn der Schwangerschaft. Bei angestrebter Spontangeburt Wiederholung im Rahmen GBS-Screening bei 36 SSW.
- Viruslastbestimmung bei der ersten Konsultation, danach alle 3 Monate und monatlich im letzten Trimenon in Absprache mit dem behandelnden Infektiologen (Doppelbestimmungen vermeiden). Bei Änderung der ART Bestimmung der Viruslast 2 bis 4 Wochen später. Die Viruslastbestimmung darf nicht alter als ein Monat sein anlässlich der Vorbesprechung des Geburtsmodus. Immer Viruslastbestimmung Anfang der 36.SW
- CD4-Zellzahl-Bestimmung bei der ersten Konsultation, danach alle 3 Monate.
- Cave: Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
- Konsequente Diagnostik und Therapie von bakt. Vaginosen, Harnwegsinfekten und Chlamydieninfektion
- AC oder CVS mit zurückhaltender Indikationsstellung durch fetal board und nach Erreichen der Viruslastsuppression unter ART. Punktion möglichst erst wenn Viruslast unter Nachweisgrenze. Alternativ: 2 Wochen nach kombinierter ART und Erreichen einer niedrigen Viruslast. Ggf. in Absprache mit Infektiologen periinterventionelle Zusatzmedikation. Keine erhöhte Transmissionsrate wenn ART bereits präkonzeptionell begonnen und Viruslast niedrig ist. Vermeiden des transplazentaren Zugangs.
- Bei schlechter mütterlicher Immunitätslage grosszügige Diagnostik / Monitoring bez. opportunistischer Erkrankungen (z.B. CMV-Reaktivierung, Tuberkulose, Soorösophagitis) ggf. in jedem Trimenon
- Bei drohender Frühgeburt oder PPROM gelten Steroide zur Lungenreifeinduktion als sicher. Der Geburtsmodus wird im Rahmen regulärer geburtshilflicher Indikationen festgelegt.
- Keuchhusten und Grippeimpfung dürfen und sollen unabhängig von der CD4-Zellzahl gegeben werden.
- Vorbesprechung von Geburtsmodus, intrapartaler Prophylaxe und Neo-PEP gemeinsam mit Neonatologen, Infektiologen und Geburtshelfern in Schwangerenambulatorium in der 32. -34. SSW (immer Vorstellung am Pränatalboard)
Eintritt zur Geburt ohne HIV Test
- Schnelltest empfehlen, unverzüglich durchführen, Resultat ist innerhalb von 1h verfügbar, dokumentieren, Bestätigungstest wird 2x wöchentlich durch Labor in Zürich gemacht
- Der Schnelltest sollte besonders bei Risikopersonen (regionale Herkunft, i.v.-Drogen, sex worker) empfohlen werden.
- Test auch durchführen, wenn Risikoanamnese und letzter Test > 2 Monate her
- Bei Ablehnung (opt-out) des Schnelltests: Bestätigung durch Unterschrift der Schwangeren
- Je nach Vortestwahrscheinlichkeit nur 50% wirklich positiv, Bestätigungstest notwendig! Patientin entsprechend informieren.
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Bei erstmals positivem Schnelltestergebnis: unmittelbarer Beginn ART mit Dreierkombination bestehend aus Raltegravir 400mg 12-stündlich (so schnell als möglich), Tenofivir DF/ Emtricitabine 245/200mg 24-stündlich (so schnell als möglich) sowie Zidovudine i.v. vor und unter der Geburt (im Gebärsaal vorrätig). Sectio immer indiziert ausser bei länger bestehendem Blasensprung und unmittelbar bevorstehender Geburt. Stillen ist kontraindiziert bis negativer Bestätigungstest vorliegt.
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- Bei VBS ohne Wehen > 37 0/7 SSW Geburt schnellstmöglich anstreben, Entbindung mittels Sectio.
- Bei VBS ohne Wehen < 370/7 SSW interdisziplinärer Entscheid (Geburtshelfer, Neonatologen, Infektiologen)
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Geburtsmangement
- In Abhängigkeit von der Viruslast bei 36 SSW Entscheid über den Geburtsmodus und das peripartale Procedere.
Spontangeburt
- Bedingung: Viruslast nicht mehr nachweisbar bei 36 SSW, also <50 RNA-Kopien/ml (SGGG). In anderen Guidelines werden auch Grenzwerte bis <1000 Kopien/ml (NIH, USA) für die vaginale Geburt diskutiert.
- Einleitungsindikation abhängig von geburtshilflichen Kriterien
- Fruchtblase lange erhalten, keine KSE, keine MBU, die Indikation für eine vaginal- operative Entbindung entspricht der einer seronegativen Patientin, Spätabnabelung indiziert
- grosszügige Sectioindikation bei fetal distress oder prolongiertem Verlauf
- nach VBS ab 37 0/7SSW zügige EL (MM Eröffnung sollte nach 6-12h einsetzen)
- Cave: erhöhtes Risiko für Chorioamnionitis
- Das Transmissionsrisiko ist mehr von der Viruslast als von der Dauer des Blasensprungs abhängig.
- Die Co-Infektion mit Hepatitis C, das Gestationsalter < 37 0/7 SSW oder Schätzgewicht < 2500g ist neu kein Grund mehr für einen Kaiserschnitt.
- Die geburtshilfliche PDA gilt als sicher.
Elektive Sectio Caesarea
- Bei einer Viruslast > 50 RNA-Kopien/ml (in der 36. SSW) oder unbekannter Viruslast besteht die Indikation zur I° Sectio caesarea. Diese sollte zwischen der 38.und 39.SSW geplant werden.
- Antibiotische Prophylaxe gemäss Standard (Cave: Medikamenteninteraktionen)
Antiretrovirale Therapie unter der Geburt
- Bei einer Viruslast < 1000 Kopien/ml ist keine zusätzliche Therapie nötig soweit die ART auch am Entbindungstag eingenommen wurde.
- Bei einer Viruslast > 1000 Kopien/ml ist eine zusätzliche Therapie mit Zidovudine indiziert
- Bei unbehandelter HIV-Infektion oder Erstdiagnose unter der Geburt ist eine intensivierte ART notwendig (Verordnung durch Infektiologie).
- 3h vor Sectio (bzw. bei Geburtsbeginn)
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- Ladedosis 2mg/kg KG in 100ml NaCl 0,9%, schütteln, über 1h iv. verabreichen (Cave: unmittelbares Vorbereiten vor Verabreichen, bei getrübter Flüssigkeit verwerfen)
- Dauerinfusion: 1mg/kgKG/h in 500ml NaCl 0,9% bis zur Durchtrennung der Nabelschnur
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Erstversorgung des Neugeborenen
- Verwendung steriler Handschuhe empfohlen.
- eventuellen Absaugen
- Mundhöhle und Naseneingang mit sterilen, in 0,9% NaCl-Lösung getränkten Tupfern von Fruchtwasser zu reinigen.
- Ohren, Augen, Anus und Genitale ebenso säubern
- Vor der endgültigen Versorgung der Nabelschnur sind die Handschuhe zu wechseln, um eine HIV Kontamination zu vermeiden.
Neonatale Postexpositionsprophylaxe (Neo-PEP)
- Bei stabiler, suppressiver c-ART (Viruslast <50 Kopien/ml im Abstand von 4 Wochen und zuletzt in der 36. SSW) kann auf die Neo-PEP vollständig verzichtet werden
- Ist eine unvollständig supprimierte mütterliche Viruslast zum Zeitpunkt der Geburt absehbar, sollte die Neo-PEP wenn immer möglich pränatal festgelegt werden (idealerweise in der Vorbesprechung in der Schwangerensprechstunde mit Pädiatern und Infektiologen), die Medikamente sollen bei Geburt verfügbar sein.
- Falls eine Neo-PEP indiziert ist, erfolgt die Verordnung durch die Neonatologie postnatal sobald möglich (innerhalb von 4 Stunden).
- Bei Hepatitis B exponierten Kindern aktive und passive Immunisierung
Hygienemassnahmen für das Personal
- Anwendung der spitalhygienischen Standardmassnahmen:
- Händehygiene nach den 5 Indikationen der WHO
- Handschuhe und Überschürze bei potenziellem Kontakt mit Körperflüssigkeiten
- Augenschutz bei potenziellem Kontakt mit Körperflüssigkeiten (Spritzern)
- Beispiele:
- wasserdichter OP-Mantel und Schutzbrille für Operateur
- Übernahme des Kindes durch Hebamme mit Handschuhen und Überschürze
- Gerätedesinfektion nach Standard
- Blutspritzer und andere Kontaminationen der Haut mit Körperflüssigkeiten müssen sofort abgewaschen werden
- Entsorgung des Abfalls gemäss Standardmassnahmen
- Postexpositionsprophylaxe auf interdisziplinärer Notfallabteilung (siehe Blaubucheintrag Infektiologie: Stichverletzungen/EBF Intern, LUKS Personal)
Wochenbett
- Die postpartale Morbidität kann erhöht sein (Anämie, Endometritis und Wundheilungsstörungen).
- Rötelnimpfung möglich. Eine CD4-Zellzahl von 200 (15%) ist empfohlen.
- Kontrazeptive Beratung postpartal
Stillen
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Aktuell kann in der Schweiz nicht zum Stillen geraten werden
- Mit Schwangeren, welche einen grossen Stillwunsch haben, können, im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung, die Vor- und Nachteile des Stillens besprochen werden und Stillen unter engen Kontrollbedingungen ermöglicht werden. (Siehe Tabelle)
- Stillen nur im Rahmen eines optimalen Szenarios
- Definition optimales Szenario: regelmässige Kontrollen während Schwangerschaft, Viruslast <50 Kopien/ml während ganzer Schwangerschaft, mindestens aber bei den letzten beiden Messungen im Abstand von vier Wochen und zuletzt bei 36 SSW
MoCHIV Studie (Swiss Mother and Child HIV Cohort Study)
- Einbringen der Schwangeren in die Studie üblicherweise durch Infektiologen bereits pränatal, geht aber auch noch postpartal.
- Komplettierung der Studienunterlagen mit den Geburtsdaten durch Wochenbettarzt
- Weiterleiten an feto-maternales Team und Datenmanagerin Frau Reber (marianne.reber@insel.ch, Tel 031 632 41 40, Infektiologie des Unispital Bern)
- www.shcs.ch
Literatur
- Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit (EKSG) für die medizinische Versorgung von HIV-infizierten Frauen und ihren Kindern BAG-Bulletin 50 Dezember 2018
- SGGG Expertenbrief Nr. 60 Schwangerschaft und HIV: Prävention der vertikalen HIV-Transmission 12/2918
- BAG: Fachkommission HIV/AIDS: HIV, Schwangerschaft und Geburt: Update der Empfehlungen zur Prävention der vertikalen HIV Transmission, 2009
- European AIDS Clinical Society (EACS) Guidelines, Oktober 2015
- Deutsch-Österreichische Leitlinie zur HIV Therapie in der Schwangerschaft und HIV-exponierten Neugeborenen, S2k-Leitlinie 09 / 2020
- HIV-Buch 2014/2015 https://hivbuch.files.wordpress.com/2011/12/hiv2014-15.pdf
- Recommendations for Use of Antiretroviral Drugs in Pregnant HIV-1-Infected Women for Maternal Health and Interventions to Reduce Perinatal HIV Transmission in the United States https://aidsinfo.nih.gov/contentfiles/lvguidelines/Perinatalgl.pdf
- ISUOG practice guidelines 2016, Invasive Procedures
- SOCG clinical practice Guideline 2014, Prenatal Invasive Procedures in Women with Hepatitis B, Hepatitis C, and/or Human Immunodeficiency Virus Infections
Autor: S. Pelikan, Ph.Kaiser
Autorisiert: A. Winkler
Version: 03/2021
Gültig bis: 06/2022