Tokolyse KSW

Inhaltsverzeichnis

Tokolytika

Es gibt gemäss Evidenz-Lage kein Tokolytikum der ersten Wahl, obwohl die robusteren Daten aktuell für Nifidipin und Atosiban vorliegen. Verschiedene Faktoren beeinflussen die Auswahl einer Tokolyse: es sind vorallem, die zu erwartenden Nebenwirkungen, Erfahrung des Anwenders, der Preis des Produktes und die Art der Verabreichung.

Im KSW werden die unten aufgeführten Tokolytika wie folgt verwendet:

Tokolytikum

Anwendung

Nifedipin 
20 u 40mg

CR

  • Tokolytikum der 1. Wahl für die Tokolyse
  • maximal 120 mg / d (Grapefruitsaft erhöht die Bioverfügbarkeit)

Hexoprenalin

(Gynipral®)

  • Tokolytikum der 2. Wahl bei unmittelbar drohender Frühgeburt
  • Nicht bei Gemini, insulinpflichtigem Diabetes, kardialer Vorerkrankung, Präeklampsie
  • Schwere Leber- od. Nierenerkrankung

Atosiban

(Tractocile®)

  • Tokolytikum der 3. Wahl, jedoch 1. Wahl bei Gemini, insulinpflichtigem Diabetes, kardialer Vorerkrankung,
  • Als Zusatz zu Hexprenalin für ein Doppeltokolyse in absoluten Ausnahmefällen (z.B. unmittelbar drohende Frühgeburt, bei noch nicht abgeschlossener LRI). Individualentscheid in Rücksprach mit OA, schlechte Datenlage
  • Tokolytikum der 1. Wahl bei Kontraindikationen für Nifedipin oder Hexoprenalin (insbesondere kardiale Probleme)

Bryophyllum 50% Kautabletten von Weleda

  • Subjektiv störende, nicht portio-wirksame Kontraktionen
  • Als Zusatz zu einer bestehenden Tokolyse bei subjektiv störenden, nicht objektivierbaren Kontraktionen oder ansonsten ausgeschöpfter Tokolyse-Therapie-Optionen
Indometacin
(Indocid®)
  • perioperative Tokolyse bei Cerklage und Operationen bis zur 28. SSW (NICHT nach 32. SSW, da Ductusverschluss!), maximal für 48h ((sonst fetale Niereninsuffizienz!). Ideal als prophylaktische Tokolyse bei erhaltener Zervix..

Bestehende Tokolyse

Bei Zuverlegung einer Patientin von Extern mit bestehender Tokolyse wird die Tokolyse bei guter Wirksamkeit nicht primär gewechselt. Ausnahme ist die Umstellung von Gynipral®-Dauertokolyse auf Gynipral®-Bolustokolyse, Beginn in der Regel mit Stufe 4/3 unabhängig von der Dosierung der Dauertokolyse.

Allgemeine Indikationen für Tokolyse

  • 24+0 SSW bis 33+6 SSW (22+0 bis 23+6 SSW im Einzelfall Tokolyse diskutieren gemäss Absprache mit Hintergrund)
  • Vorzeitige portiowirksame Kontraktionen (= Spontane vorzeitige Wehentätigkeit, CTG: > 4 uterine Kontraktionen in 20 min oder 6 in 60 min) und einer der folgenden Punkte:
    • Verkürzung der funktionellen Zervixlänge auf ≤ 25mm oder im Verlauf von ca. 2 Stunden Verkürzung der Zervix um mehr als 5mm (transvaginale Messung)
    • MM-Eröffnung >2cm und <5cm
  • Vorzeitiger Blasensprung bis 33+6 SSW ausschliesslich für die Dauer der Lungenreifungsinduktion
  • Symptomatische Plazenta praevia / tiefer Plazentasitz mit vaginaler Blutung
  • Perioperativ
    • Gynipral® (Bolus aus der Hand) bei äusserer Wendung
    • Indometacin bei Cerclage / Muttermundsverschluss nur bei Bedarf
    • Indometacin oder Gynipral® bei operativen Eingriffe (z.B. Appendektomie, Knochenfraktur) bei Bedarf

Allgemeine Kontraindikationen für Tokolyse

Maternal:

  • Sepsis
  • Schwere Präeklampsie
  • Hämodynamische Instabilität
  • Lungenödem

Fetal:

  • Pathologisches CTG, ausser zur kurzfristigen Überbrückung zwischen Sektioindikationsstellung und Lagerung / Schnitt im OP
  • Vorzeitige Placentalösung (relative KI)
  • Chorioamnionitis
  • Intrauteriner Fruchttod oder mit dem Überleben nicht vereinbare Fehlbildungen

Notwendige Untersuchungen vor Beginn einer Tokolyse

  • Vor jeder Tokolyse: mütterl. Vitalparameter und Blutbild vorliegend! Infektlabor bei PPROM oder Fruchtblasenprolaps. Zusätzlich Kalium und Natrium bei Gynipral®- oder Adalat®-Tokolyse
  • EKG: insbesondere Frage nach Präexzitation / Wolff-Parkinson-White-Syndrom (WPW) für den Fall, dass im Verlauf Hexoprenalin (Gynipral®) zum Einsatz kommt. Auch bei Anwendung von Nifedipin sollte bei Unklarheiten bezüglich EKG ggf. Rücksprache mit den Kollegen der Kardiologie genommen werden.
  • Labor: Infektlabor bei PPROM oder Fruchtblasenprolaps, zusätzlich Kalium und Natrium bei Gynipral®- oder Adalat®-Tokolyse
  • Blutdruckmessung, Puls: insbesondere vor Anwendung von Nifedipin (siehe dort).

Nifedipin (Off-Label-Use)

Die Anwendung von Nifedipin zur Tokolyse entspricht einem Off-Label-Use, die Patientin muss vorgängig darüber aufgeklärt werden.

Zusätzliche Kontraindikationen für Nifedipin

  • Kardiale Vorerkrankung
  • Arterielle Hypotonie
  • Gleichzeitige Betamimetika-Gabe (Ausnahme: überlappend bei Wechsel)
  • Migräne (relative Kontraindikation)
  • Nifedipin zur Tokolyse oder Blutdrucksenkung kann gleichzeitig mit Magnesium i.v. gegeben werden.

Durchführung der Tokolyse mit Nifedipin / Adalat®

Die Untersuchungen vor Beginn einer Tokolyse müssen durchgeführt werden. Insbesondere ist eine BD-Messung durchzuführen. Bei BD systolisch < 90mmHg Information Dienstarzt und keine Nifedipin-Gabe.

Nifedipin CR 40 mg

Initial 40 - 0 - 0 mg, Dosissteigerung 40 - 0 - 40 mg, Weitere Dosissteigerung 40 - 40 - 40 mg (max. 120 mg / d)

Überwachung

  • Vor der ersten Nifedipin-Gabe BD systolisch > 90mmHg.
  • In den ersten 2 Stunden: BD-Messung (Dinamap) mit einem Intervall von erst 5, dann alle 10 Minuten
  • Falls BD systolisch < 90 mmHg: CTG-Überwachung ab 23+5 SSW, Information Dienstarzt und (vorerst) keine weitere Nifedipin-/Adalat-Gabe.

Unerwünschte Wirkungen

  • Tachykardie, Herzklopfen
  • Kopfschmerzen: typische unerwünschte Wirkung zu Therapiebeginn. In der Regel ist eine symptomatische Gabe von Paracetamol erfolgreich, die Kopfschmerzen verschwinden in den meisten Fällen innerhalb von 1-2 Tagen.
  • Hypotonie: der blutdrucksenkene Effekt von Nifedipin ist bei Frauen mit normalem Blutdruck wenig ausgeprägt.
  • Hautausschlag, Flushes
  • Selten Übelkeit und Erbrechen
  • Im Falle von Beinkrämpfe soll ein Calciumpräparat 2g/d verschrieben werden.

Vorgehen bei Wehentätigkeit unter Adalat-Tokolyse

Falls keine Wirkung oder sofern die Nebenwirkungen von Adalat® einen Wechsel aufdrängen: Umstellen auf Gynipral® oder Tractocile®.

      Atosiban (Atosiban Klasa®)

      Durchführung der Tokolyse mit Atosiban (Tractocile®)

      1. Initialer Bolus: 6.75 mg (0.9 ml i.v. als Bolus) über 2 min (Cave: Übelkeit, Erbrechen)
      2. Hochdosierte Sättigungsinfusion (18 mg/h = 24ml/h = 300 ug/min) über 3h
      3. Reduzierte Erhaltungsdosis (6mg/h = 8ml/h = 100 ug/min) über max. 45h
      • Sättigungsinfusion und Erhaltungsdosis werden aus 2 Stechampullen Konzentrat (je 5ml enthalten 37,5mg in 90 ml NaCl 0.9%) hergestellt
      • Dauer der Behandlung maximal 48 Stunden, bei einer Gesamtdosis von 330mg
      • Unmittelbar nach Abschluss einer Behandlung nach 48h, kann ein kompletter erneuter Zyklus angeschlossen werden, ist aber off-label use.

      Unerwünschte Wirkungen

      • sind unter Atosiban insgesamt selten und nur selten gravierend
      • Häufigste Nebenwirkungen sind (in >10%) Übelkeit oder (in 1-10%) Kopfschmerzen, Schwindel, Hitzewallungen, Erbrechen, Hypotonie. Tachykardie, lokale Reaktionen an den Injektionsstellen
      • Gelegentlich (0.1-1%): Fieber, Schlaflosigkeit, Juckreiz, Hautausschlag
      • Selten (< 0.1%): Allergie

      Zusätzliche Indikationen für Bolustokolyse

      • Versagen einer Erstlinien-Therapie mit Adalat
      • Notwendigkeit einer Tokolyse mit möglichst kurzer Latenz (unmittelbar drohende Frühgeburt)
      • Perioperativ: Vorteil der Gynipral®-Tokolyse ist der rasche Wirkungsbeginn und die kurze Halbwertszeit

      Zusätzliche Kontraindikationen für Bolustokolyse

      • Herzerkrankungen: Myokarditis, Mitralvitien und idiopathische hypertrophe subvalvuläre Aortenstenose, sonstiger schwerer Herzfehler
      • Herzrhythmusstörungen, insbesondere tachykarde Arrhythmien
      • Präexzitationssyndrome, Re-Entry-Tachykardien (z.B. Wolff-Parkinson-White-Syndrom): Vorzeitige Erregung der Herzkammer über eine antegradleitende, angeborene Bahn, die parallel zum AV-Knoten liegt. Über diese Bahn können Herzrhythmusstörungen hervorgerufen werden. Anamnestisch sind rascher Beginn, regelmässige Tachykardie, abruptes Ende eruierbar. Synkopen treten in der Regel nicht auf. Das EKG zeigt oft das typische Zeichen der Delta-Welle, welche auch im symptomfreien, normofrequenten Intervall nachweisbar ist. Beim WPW-Syndrom ist zudem eine abnorm kurze PQ-Zeit (<0.12 s) charakteristisch.

      Delta-Welle bei Präexzitationssyndrom 
      (aus www.amboss.com)

      • ischämischen Herzerkrankung oder relevante Risikofaktoren für eine ischämische Herzerkrankung

      Durchführung der Bolustokolyse mit Gynipral (Hexoprenalin)

      Vor Beginn einer Gabe von Hexoprenalin muss unbedingt ein EKG durchgeführt werden (siehe Kontraindikationen)!

      Zubereitung der Infusionslösung:

      4 Amp. Gynipral® à 25µg/5 ml (=20ml) in 30 ml NaCl 0,9% in Perfusor-Spritze 50ml

      Dies ergibt 50ml mit 2µg Gynipral / ml.

      • Um einem Verstopfen des venösen Zugangs vorzubeugen, läuft parallel über den Infusomat ein Beilauf mit 250 ml 0.9% NaCl langsam zum Offenhalten mit 10 ml pro Stunde.
      • Dieser wird über einen Dreiwegehahn an einer kurzen Verlängerung zum Venflon angeschlossen.
      • An die Leitung zum Beilauf muss direkt beim Dreiwegehahn ein Rückschlagventil angeschraubt werden! n der Regel ist der Applikationsdruck einer Spritzenpumpe höher als der Applikationsdruck eines Infusomaten à Rückschlagventil zwischen 3-Weg-Hahn und Infusionsleitung vom Infusomaten.

      Lungenreifungsinduktion unter Tokolyse mit Hexoprenalin

      Bei gleichzeitiger Gabe von Hexoprenalin und Lungenreifeinduktion (LRI) mit Celestone® kann es in seltenen Fällen zu einem Lungenödem kommen. Während der Dauer der LRI für 48 Stunden wird daher eine Bilanzierung 12-stündlich durchgeführt und 24 Stunden nach LRI gestoppt.

      Bolustokolyse-Stufen

      Beginn in der Regel mit Bolusstufe 4, Intervall 3 Minuten (4/3); bei ungenügender Wirksamkeit schrittweise bis auf Bolusstufe 7 erhöhen (alle 3 Minuten) falls erforderlich, danach zusätzlich Verkürzung des Intervalls von 3 auf 2 Minuten. Bei nachlassender Wehentätigkeit (<2 Wehen pro 20 min) Intervall von 3 auf 6 min. verlängern, dann nach 12 bzw. 24 Stunden weitere Verdoppelung des Zeitintervalls, sofern die Wehentätigkeit aufgehört hat. Danach 12-stündliche Reduktion der Bolusstufe, falls diese über der Anfangsdosis liegt. Nach weiteren 24 Stunden kann i. d. R. auf eine perorale Tokolyse übergegangen werden.

      Beginn

      4/3

       

      Steigerung

      4/3

      5/3

      6/3

      7/3

      7/2

       

      Reduktion

      7/2

      7/3

      6/3

      5/3

      4/3

      (4/6)

      (4/12)

      Stufenschema

       

      Bolusstufe 3

      120µg

      Gynipral 0.24µg

      Bolusstufe 4

      160µg

      Gynipral 0.32µg

      Bolusstufe 5

      200µg

      Gynipral 0.40µg

      Bolusstufe 6

      240µg

      Gynipral 0.48µg

      Bolusstufe 7

      280µg

      Gynipral 0.56µg

      Intervall

      ml per h

      Gynipral per h/µg

      50ml = x h

      ml per h

      Gynipral per h/µg

      50ml = x h

      ml per h

      Gynipral per h/µg

      50ml = x h

      ml per h

      Gynipral per h/µg

      50ml = x h

      ml per h

      Gynipral per h/µg

      50ml = x h

       

      2 Min.

      3.6

      7.2

      (13.9)

      4.8

      9.6

      (10.4)

      6.0

      12.0

      (8.3)

      7.2

      14.4

      (6.9)

      8.4

      16.8

      (6)

       

      3 Min.

      2.4

      4.8

      (20.8)

      3.2

      6.4

      (15.6)

      4.0

      8.0

      (12.5)

      4.8

      9.6

      (10.4)

      5.6

      11.2

      (8.9)

       

      6 Min.

      1.2

      2.4

      (41.6)

      1.6

      3.2

      (31.3)

      2.0

      4.0

      (25)

      2.4

      4.8

      (20.8)

      2.8

      5.6

      (17.9)

       

      12 Min.

      0.6

      1.2

      (83.3)

      0.8

      1.6

      (62.5)

      1.0

      2.0

      (50)

      1.2

      2.4

      (41.6)

      1.4

      2.8

      (25.7)

       

      24 Min.

      0.3

      0.6

      (166.7)

      0.4

      0.8

      (125)

      0.5

      1.0

      (100)

      0.6

      1.2

      (83.3)

      0.7

      1.4

      (71.4)

       

      Bryophyllum pinnatum (Weleda Bryophyllum Kautabletten 50%)

      Einleitung

      Es muss beachtet werden, dass die Bryophyllum Kautabletten 50% nicht mit homöopathischen Darreichungsformen verwechselt werden! Die Kautabletten enthalten mit 50% einen hohen Anteil an Pflanzenextrakt! Auf dem Rezept muss das Produkt korrekt verordnet werden!

      Indikation

      • Nicht portiowirksame Kontraktionen / subjektiv störende Kontraktionen
      • Therapie ohne andere Tokolyse
      • Additiv zu bestehender Tokolyse bei subjektiv störender Kontraktionen ohne Portiowirksamkeit

      Dosierung

      • Beginn (Aufsättigung): 4 x alle 15min 1 Tbl
      • 3-4x täglich 1-2 Tbl, Dosierung kann verdoppelt werden, vorübergehend bis 1 Tbl stündlich möglich (einige Stunden).

      Literatur

      • Van Winden, TMS, Roos. C. Nijman, TAJ,  Kleinrouweler, C.E., Olaru, A., Mol, B.W., McAuliffe, F.M., Pajkrt,E., Oudijk, M.A. (2020). Tocolysis compared with no tocolysis in women with threatened preterm birth and ruptured membranes: A propensity score analysis. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2020 Dec:255:67-73. doi: 10.1016/j.ejogrb.2020.10.015. Epub 2020 Oct 12
      • Alfirenic Z et al. Targeted therapy for threatened preterm labor based on sonographic measurement of the cervical length: a randomized controlled trial. Ultrasound Obstet Gynecol. 2007 Jan;29(1):47-50.
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      • Spätling L, Fallenstein F, Schneider H, Dancis J. Bolus tocolysis: treatment of preterm labor with pulsatile administration of a beta-adrenergic agonist. Am J Obstet Gynecol. 1989 Mar;160(3):713-7.
      • Spätling L, Fallenstein F (Hrsg.): Bolustokolyse in Theorie und Praxis. Steinkopff Verlag Darmstadt, 1993. ISBN-13 978-3-642-72494-7.

      Autor: I. Fähnle, A. Winkler
      Überarbeitet: L. Sultan-Beyer
      KSW-Version: 1.0, 02/2024