Vorgehen bei V.a. Herpes genitalis

Inhaltsverzeichnis
  • Herpes genitalis ist die häufigste Ursache für vulväre Ulzera
  • gewöhnlich durch HSV 2 verursacht
  • Prävalenz von HSV 2 (Serologie) 20%, HSV 1 70%
  • HSV 1 ist für 50% der Neu-Infektionen verantwortlich

Klinik

Typische Anamnese von Brennen/Schmerzen bis zur schmerzhaften fiebrigen Vulvitis, multiple Vesiculae → Erosionen/Ulzerationen, druckdolente inguinale Lymphknotenschwellung. Die Inkubationszeit beträgt zwei bis zwölf Tage. Eine Virusausscheidung und Transmissionsrisiko ist auch bei asymptomatischen Personen möglich.

Klinische Charakteristika einer Primärerkrankung sind:

  • Häufig asymptomatisch (2/3 der Primärinfektionen)
  • Gruppierte, 2-4mm grosse Bläschen auf erythematösem Grund. Progredienz zu Pusteln, Erosionen und Ulzera
  • Aussaat der Bläschen über grössere Flächen des Genitale und der angrenzenden Haut, wie auch an Ektocervix möglich. Das Gesäss und die Analregion können ebenfalls betroffen sein.
  • Schmerzen, Dysurie bis zu Harnverhalt
  • Beidseitigkeit der Erscheinungen
  • Lange Bestandsdauer der Läsionen bis zu drei Wochen
  • Lokalbefund häufig mit allgemeinen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Gelenksbeschwerden und Lymphadenopathie vergesellschaftet
  • Klinik: Kein Unterschied zwischen HSV Typ 1 und 2

Klinische Präsentation eines Rezidiv:

  • Beschwerden häufig limitiert und leichter
  • Bläschen für 5-7 Tage, heilen rascher.
  • umschriebene, gruppierte Bläschen und Erosionen
  • weniger Allgemeinsymptome
  • HSV 2 rezidivieren häufiger als HSV 1
  • Herpesrezidiv im Genitalbereich von prodromalen Beschwerden wie Hyperästhesie, neuralgieähnlichen Schmerzen und Krankheitsgefühl begleitet

Diagnostik

Herpesviren bleiben lebenslänglich im Körper (Neuronen und Ganglien) und können bei günstigen Bedingungen reaktivieren.

Klinik eindeutig: keine weitere Abklärung nötig

Klinik nicht eindeutig

  • PCR-Abstrich aus Läsion auf HSV (grünes Röhrchen = e-Swab). Es werden immer HSV1 und HSV2 erfasst, können nicht separat angefordert werden.
  • CAVE !!! Kosten: 200.-, nur nach Aufklärung über Kosten abnehmen
  • Herpes-Serologie für Primär-Diagnostik nicht geeignet
  • Herpes-Serologie ggf. zur Unterscheidung zw. Primärinfekt vs. Rezidiv eines HSV zusätzlich zum PCR-Abstrich oder zur Identifikation des Immunstatus bei Partner. Antikörper innerhalb von 12 Wochen nach Infektion nachweisbar (IgM/A für ca. 4 Wochen), lebenslängliche Persistenz (IgG)

bei V.a. Superinfektion

  • Mikrobiologie-Abstrich

Viral:

Zytomegalie-Virus, Epstein-Barr Virus (Mononukleose)

Bakteriell:

Syphilis, Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum (Chlamydia trachomatis Sero L1 - L3), Granuloma inguinale (Donovanose), Schankriforme Pyodermie (Streptokokken, Fusobakterien u.a.), GenitaleTuberkulose, usw.

Parasitär:

Amoebiasis, Scabies, Leishmaniose

Entzündlich:

M. Behcet, Lichen planus, Lichen sclerosus, Aphthosis, M. Crohn, M. Reiter, Vulvitis plasmacellularis

Iatrogen:

Arzneimittelexanthem, Kontaktdermatitis, toxisch

Neoplastisch:

VIN, Vulva-CA, Basaliom, usw.

Trauma:

Verletzung/Artefakte

Andere:

Candida (Kratzläsionen), Follikulitis

Primärinfekt

  • Möglichst innert 3 Tagen nach Beginn der Symptome und/oder bei klinischem Verdacht: Valaciclovir Tbl 500mg 2x1 für 7-10 Tage, bei Persistenz der Symptomatik bis 10 Tage
  • Alternative:
    - Acyclovir 400mg 1-1-1, oder 200mg 1-1-1-1-1
    - Famciclovir 250mg 1-1-1 für 7-10Tage

Rezidiv

  • Abhängig von Ausmass und Schwere des Rezidivs
  • Systemische orale Therapie (bietet erhebliche Vorteile gegenüber der lokalen Anwendung der antiviralen Substanz) à Valaciclovir 500mg 1-0-1 für 5 Tage
  • Frühzeitiger Therapiebeginn, das heisst bei Auftreten der Prodromalsymptomatik, kann die Infektion in vielen Fällen unterdrückt werden, ohne dass es zu grösseren Bläschen kommt
  • Alternative:

    - Aciclovir: 2x800 mg p.o. für 5 Tage oder 3x400 mg p.o. für 5 Tage oder 3x800 mg p.o. für 2 Tage
    - Famciclovir: 2x125 mg p.o. für 5 Tage oder 2x1 g p.o. für 1 Tag
    - Valaciclovir: 1x1 g p.o. für 5 Tage

Allgemeines

  • Ausreichende analgetische Therapie, NSAR fix (z.B. Olfen 75 mg 2x1/d), ggf. Novalgin 4x1 g/d. An Magenschutz denken!
  • Bei Superinfektion antibiotische Therapie mit Co-Amoxicillin 3 x 625 mg/d, Beginn nach Abstrich
  • Zum Abschwellen: ggf. cortisonhaltige Salbe lokal
  • Kühlung und gerbende Sitzbäder (Tannosynt flüssig, Schwarztee oder Kaliumpermanganat)                                                                                 
  • DK bei Harnverhalt mit Hospitalisation
  • Kein GV bis komplett abgeheilt (2-4 Wochen)
  • Gutes Händewaschen mit Seife
  • Partnertherapie nur bei Symptomatik
  • Generell Kondome bei GV

Selbstständige Einnahme der antiviralen Therapie bei ersten Anzeichen eines Herpes-Schubes. Angesichts der Notwendigkeit einer raschen Einnahme der Medikamente bei Auftreten der Symptome muss der Patientin entweder eine antivirale Starterpackung oder eine Verordnung mit den entsprechenden Anweisungen übergeben werden, damit sie die Behandlung selbst so früh wie möglich einleiten kann. Die episodische Therapie reduziert den Schweregrad und die Länge eines Rezidives.

Indikation: Diskussion bei Patientinnen mit <4-6 Rezidiven im Jahr.

  • Valaciclovir: 500mg 1-0-1 für 3 Tage oder 1000mg 1-0-0 für 5 Tage
  • Acyclovir: 800mg 1-1-1  für 2 Tage, oder 800mg 1-0-1 für 5 Tage; oder 400mg 1-1-1 für 5 Tage
  • Famciclovir: 1000mg 1-0-1 für einen Tag; oder 125mg 1-0-1 für 5 Tage; oder 500mg einmalig, gefolgt von 250mg 1-0-1 für 2 Tage

Bei Patientinnen mit häufigen Rezidiven (>6 pro Jahr) wurde eine Reduktion der Rezidivhäufigkeit um 70 bis 80% nachgewiesen. Sicherheit und Wirksamkeit einer suppressiven Behandlung sind für Aciclovir für einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren und für Valaciclovir und Famciclovir für einen Zeitraum von über einem Jahr nachgewiesen. Valaciclovir 2x250 mg/d ist geringfügig wirksamer als 1x500 mg/d und wird daher für Patientinnen mit mehr als 10 Rezidiven pro Jahr empfohlen. Die suppressive Behandlung verbessert die Lebensqualität. Mit den Jahren nimmt die Rezidivhäufigkeit auf unterschiedliche Weise ab. Dies rechtfertigt, die suppressive Behandlung nach 6–12 Monaten für einen Zeitraum abzusetzen (d.h. zumindest zwei Rezidive abwarten), damit der natürliche Verlauf beurteilt werden kann. Falls weiterhin häufige oder belastende Rezidive auftreten, ist es durchaus möglich, die suppressive Behandlung wieder aufzunehmen, die weder zu nennenswerten Nebenwirkungen noch zur Selektion resistenter Stämme führt Die suppressive Behandlung mit Valaciclovir bei Patienten mit Rezidiven bringt noch einen weiteren Nutzen: sie verringert die sexuelle Übertragung von HSV-2 bei Partnern mit unterschiedlichem serologischem Status um 50%, die Übertragung von klinisch symptomatischen HSV-2-Infektionen wird um 75% reduziert.

Die suppressive Therapie verlängert die Zeit bis zum nächsten Rezidiv und reduziert die Länge eines Rezidiv.

  • Valaciclovir: 1x500 mg p.o
  • Aciclovir: 2x400 mg p.o.
  • Famciclovir: 2x250 mg p.o

Reeavluation der suppresiven Therapie nach 6 Monaten.

Bei Immunsupprimierten und insbesondere bei fortgeschrittener HIV-Infektion beobachtet man chronische oder schwere Verläufe. Hier empfiehlt sich häufig eine episodische oder suppressive Behandlung.

Wenige Daten über die Länge und Sicherheit einer suppressiven Therapie.

2% der Schwangeren erleiden während der Schwangerschaft eine Herpes-Primärinfektion.

Intrauterine Herpesinfektionen sind jedoch glücklicherweise sehr selten.

  • Es gibt keine gesicherten Daten zu intrauterinen HSV-Infektionen insbesondere in der Früh-SS (Einzelfallberichte bei akuter oder disseminierter Infektion der Schangeren mit Abort/IUFT, IUGR, disseminierter fetaler Infektion mit Beteiligung von Plazenta, ZNS, Haut, Augen sind beschrieben).
  • Das Risiko bei Primärinfektion wird als gering (<5%) eingeschätzt. Reaktivierungen haben kein erhöhtes Risiko für eine intrauterine Infektion.
  • Gefürchtet ist insbesondere die neonatale Herpesinfektion mit Ansteckung bei Passage des Geburtskanals bei Herpes genitalis zum Zeitpunkt der Entbindung, oder Schmierinfektionen über Hautkontakt bei Herpes labialis von Kontaktpersonen.
  • Das Übertragungsrisiko ist sehr viel höher bei Primärinfektion (25-40%) in der Schwangerschaft, vor allem wenn es in den letzten 6 Wochen vor der Entbindung geschehen ist. Rezidive haben ein deutlich geringeres Risiko für neonatale Infektionen (1-3%).
  • Neonatale Symptome: Systemische Infektion, Infektionen des ZNS, Infektionen der Haut, Augen, Schleimhäute. Frühgeborene sind stärker gefährdet als Termingeburten. Erstmanifestationen sind gefährlicher als Reaktivierungen, da bei Reaktivierungen Antikörper der Mutter übertragen werden und bedingt vor den neonatalen Infektionen schützen.
  • Ein Screening ist nutzlos, da ein durchgemachter Infekt nicht vor einer Reaktivierung schützt und bei fehlender Reaktivierung während der Schwangerschaft eine prophylaktische peripartale Behandlung nicht empfohlen ist.

Symptomatisch: Analgetika (Paracetamol), lokal Lidocain (Xylocain) Gel 2%

Antivirale Therapie (empirischer Beginn bereits bei klinischem Verdacht)

Primärinfekt, erste genitale Episode oder Rezidiv mit schwerer Symptomatik:

- Aciclovir 400mg 1-1-1 für 10 Tage, oder Valaciclovir 1000mg 1-0-1 für 10 Tage

Rezidiv:

- Aciclovir 400mg 1-1-1 für 5 Tage, oder Valaciclovir 1000mg 1-0-1 für 5 Tage

Prophylaxe ab der 36. SSW (oder früher bei Risiko für Frühgeburt) bis Geburt (und Verminderung eines möglichen viral sheddings).

  • Aciclovir (z.B. Zovirax) 400mg 1-1-1 per os, Alternative Valaciclovir 1g 1-0-1 per os
  • Empfohlen bei allen Formen eines Herpes genitalis während der Schwangerschaft
  • Bei Erstmanifestation (>28 SSW): Fortführen der oralen Therapie bis zur Geburt
  • Bei HIV positiven Patientinnen: Beginn bei 32 SSW (Risiko Frühgeburt) falls Spontangeburt geplant
  • Eine vaginale Geburt ist möglich bei Erstmanifestationen im 1. und 2. Trimenon sowie rezidivierenden Infektionen, sofern bei Geburtsbeginn keine Bläschen erkennbar sind.
  • Die primäre Sektio ist indiziert bei Erstmanifestation innerhalb von 6 Wochen vor der Geburt (vermehrtes viral shedding) sowie bei präpartalem Nachweis von Läsionen (auch verkrustet) oder bei typischen bekannten Prodomalsymptomen (Schmerzen, Brennen).
  • Bei Primärinfektionen >28 SSW ist die Möglichkeit einer primären Sektio aufgrund erhöhter Raten eines viral sheddings zu diskutieren.
  • Bei Blasensprung soll die Sektio so zeitnah wie möglich, optimalerweise innerhalb von 4 Stunden erfolgen.
  • Eine positive Anamnese für Herpes genitalis mit fehlenden genitalen Symptomen zum Geburtszeitpunkt ist keine Indikation zur Sektio.
  • Stillen ist erlaubt, soweit die Brust frei von frischen Läsionen ist und andere Läsionen abgedeckt sind. Eine Übertragung durch Muttermilch ist unwahrscheinlich.
  • Bei zu spät entdeckter Herpesinfektion: Hinzuziehen des Neonatologen

Gynecologic dermatology, symptoms, signs and clinical management, Gudula Kirtschig, Susan M Cooper, 2016

Handbuch Geburtshilfe, Roland Zimmermann, 2018

AWMF S2 Leitlinie: STI – Beratung, Diagnostik und Therapie, 08/2018

Schweizer Empfehlungen für das Management des Herpes genitalis und der Herpes-simplex-Virus-Infektion des Neugeborenen, 2005 

Virus-Infektion des Neugeborenen, Schweizerische Ärztezeitung / Bulletin des médecins suisses / Bollettino dei medici svizzeri •2005;86: Nr 13

Treatment of genital herpes simplex virus infection, uptodate, 06/2021

Epidemiology, clinical manifestations, and diagnosis of genital herpes simplex virus infection, uptodate, 06/2021

Universal prenatal herpes screening is a bad idea in pregnancy, 2006, Lancetrpes screening is a bad idea in pregnancy

Richtlinie für antimikrobielle Prophylaxe und Therapie, KSW, 01/2020

Autor: M. von Rotz
Überarbeitet: H. Baluch
KSW Version: 1.0, 04/2022