Schwangerschaftsabbruch gemäss Fristenregelung bis 11+6 SSW

Inhaltsverzeichnis

Ablauf und Vorgehen

Termin-Planung im gynäkologischen Ambulatorium

  • Zuweisung von extern mit klar formuliertem Wunsch nach Interruptio: das Beratungsgespräch mit Erfüllung der notwendigen Formalitäten und die Abgaben von Mifegyne / Cytotec bzw. die OP-Planung können ggf. in einer Konsultation durchgeführt werden sind alle Inhaltlichen Punkte erfüllt.
  • Selbstzuweisung: je nach Situation und Einschätzung des beratenden Arztes / der beratenden Ärztin kann die direkte Abgabe von Mifegyne/Cytotec bzw. die OP-Planung durchgeführt werden ODER ein Folgetermin vereinbart werden.

Beachte: es gibt in der Schweizerischen Gesetzgebung keine Bedenkfrist. Es ist also nicht zwingend notwendig, zwei Termine für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches zu planen.

Folgende Punkte müssen gemäss Gesetz auf jeden Fall für die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs gemäss Fristenregelung (Art. 119) erfüllt sein:

  • innerhalb von 12 Wochen seit Beginn der letzten Periode
  • schriftliches Gesuch der Schwangeren muss vorliegen
  • die Schwangere muss urteilsfähig sein. Nicht urteilsfähige Schwangere benötigen die Zustimmung der gesetzlichen Vertretung
  • die Schwangere muss eingehend beraten werden und über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs informiert worden sein.
  • Leitfaden mit Verzeichnis Beratungsstellen und Unterstützung muss abgegeben werden.
  • Schwangere Frau unter 16 Jahren: Der Arzt muss sich persönlich vergewissern, dass sich die Frau an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat (im Leitfaden der Gesundheitsdirektion mit * gekennzeichnet).

Inhalte Beratungsgespräch

  • Klare Formulierung des Wunsches nach einer Interruptio durch die Schwangere
    • Cave: Es geht nicht, dass in den Diagnoselisten als Begründung für die Indikation eines Schwangerschaftsabbruches «Wunsch der Frau» steht. Wir führen keine Schwangerschaftsabbrüche entsprechend Wünschen sondern bei klarer Indikation durch die Deklaration einer mütterlichen Notlage durch.
  • Psychische Auswirkungen: häufigste Gefühle nach Interruptio sind Erleichterung, vorübergehende Schuldgefühle, Traurigkeit, Verlustgefühl
  • Wertfreies Beratungsgespräch mit Abgabe des Leitfadens mit Verzeichnis der Beratungsstellen
  • Ansprechen der Möglichkeit auf Adoption
  • Beratungsgespräch über Methoden, Kontraindikationen, Risiken und UEW
  • Ausfüllen des schriftlichen Gesuchs durch die Schwangere
  • Ultraschall (Nachweis eines intrauterinen Gestationssackes inkl. Dottersack oder Embryo)
  • Blutgruppenbestimmung oder Blutgruppenausweis (einscannen!)
  • Antikonzeption besprechen
  • Schwangere Frau unter 16 Jahren: Der Arzt muss sich persönlich vergewissern, dass sich die Frau an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat (im Leitfaden der Gesundheitsdirektion mit * gekennzeichnet)

Medikamentöse Interruptio

  • Bis 7+0 SSW Mifegyne und Cytotec zugelassen, danach "off-label"
  • Zwischen 7+1 SSW und 10+0 SSW 1,2,3,4 im off-label use
  • Kontraindikationen:
    • Ambivalenz
    • Verständigungsprobleme
    • Allergien gegen Mifepriston oder Prostaglandine
    • chronische Nebenniereninsuffizienz
    • angeborene Porphyrie
    • Anämie (Hb < 100 g/l)
    • Antikoagulation
  • Keine Kontraindikationen:
    • Mehrlingsschwangerschaften
    • St. n. Sectio
    • kontrolliertes Asthma bronchiale (ggf. Dosis der Asthmamedikation erhöhen)
  • Abgabe von Mifegyne 200 mg5 unter ärztlicher Aufsicht
    • bei Erbrechen innert 90 Minuten Wiederholung der Einnahme
  • Mitgabe von Cytotec 800 µg6 (4x200 µg) vaginal oder buccal zur Einnahme zu Hause nach 36-48 h
  • Rezeptierung von Analgesie:
    Irfen 400 mg bis 4 x1/d, Co-Dafalgan 500/30mg bis 8x1/d
  • Rezeptierung von Antiemese bei Bedarf:
    Itinerol B6 bis 2x1/d, Paspertin 10 mg bis 3x1/d
  • AUF 100% 1-5 Tage je nach Arbeit
  • Rhophylac 300 µg wenn Rhesus negativ
  • In Ausnahmefällen kann zur Cytotec-Einnahme und Ausstossung ein Bett via Bettendisposition organisiert werden.
  • Meldung an den Kantonsarzt durch den Arzt/die Ärztin, die das Mifegyne abgibt. Wer die Meldung an den Kantonsarzt unterlässt, kann gemäss Art. 120 Abs. 2 StGB bestraft werden.

Chirurgische Interruptio

  • bis 11+6 SSW
  • Risiken: Infektion, Verletzung von Organen durch Perforation (Darm, Blase, Gefässe), ggf. Laparoskopie, Restmaterial, Vernarbung im Cavum mit ggf. erschwerter Konzeption
  • Verordnen von 2x200 µg Cytotec7 zum Cervixpriming 1 h8 vor OP (in der Regel buccal Applikationsweg buccal, vaginal, rektal gleichwertig)
  • OP-Anmeldung: Curettage zur Interruptio
  • Rhophylac am OP-Tag wenn Rhesus negativ
  • AUF 100% 1-5 Tage je nach Arbeit
  • Meldung an den Kantonsarzt durch den Arzt/die Ärztin, die den Abbruch durchführt. Wer die Meldung an den Kantonsarzt unterlässt, kann gemäss Art. 120 Abs. 2 StGB bestraft werden.
  • WICHTIG: Intraoperative sonographische Kontrolle immer via Transvaginal-Ultraschall! Eine transabdominale Ultraschall-Untersuchung ist nicht ausreichend! 
  • Bei chirurgischer Interruptio mit transvaginal-sonographischer Dokumentation kann auf die Nachkontrolle verzichtet werden. 

Follow-Up

Für das Follow-Up gibt es zwei Möglichkeiten:

    1) Nachkontrolle mit TVUS

    Kontrolle nach 10-14 Tagen inkl. TV-Ultraschall und Beginn bzw. Besprechung der künftigen Antikonzeption

    2) Selbständige Kontrolle durch die Patientin

    Es ist optional möglich, einen Schwangerschaftsabbruch mit minimal einer Konsultation vorzunehmen:

    • Abgabe des SS-Test zur selbständigen Durchführung nach 10-14 Tagen. (Produkt «CheckTOP», Cut-Off 1000U/L)
    • Beachte: ein regulärer SS-Test kann bis ca. 6 Wochen nach dem Ereignis positiv sein und ist für diese Anwendung NICHT geeignet!

    Einschlusskriterien für dieses Vorgehen:

    • Gemäss Einschätzung des Arztes kann die Patientin sowohl sprachlich wie auch kognitiv adäquat über das Vorgehen aufgeklärt werden und ist in der Lage, das Vorgehen zu verstehen und durchzuführen
    • Die Patientin ist mit dem Vorgehen einverstanden und ist instruiert, in welchen Fällen sie sich erneut vorstellen muss.
    • Bis 10+0 SSW (beachte: in der Schweiz ab 7+1 SSW off-label- use von Mifegyne)
    • Hb > 100 g/L

    Kriterien für Wiedervorstellung

    • Blutung nach Cytotec ausgeblieben oder schwach
    • CheckTop-SS-Test nach 2 Wochen positiv
    • Persistierende Schwangerschaftssymptome wie Brustspannen, Nausea
    • Ausbleiben der Menstruation > 5 Wochen
    • Sehr starke Blutung, Kreislaufinstabilität
    • Starke Schmerzen
    • Fieber

    Vorgehen bei Restmaterial

    Das Vorgehen bei Restmaterial nach Interruptio ist das gleiche wie bei Missed abortion.

    Gesetzliche Grundlagen

    Der Schwangerschaftsabbruch ist im Schweizerischen Strafgesetzbuch in Artikel 118 – 120 geregelt. Darin ist auch die sogenannte "Fristenregelung" enthalten.

    Art. 118

    1 Wer eine Schwangerschaft mit Einwilligung der schwangeren Frau abbricht oder eine schwangere Frau zum Abbruch der Schwangerschaft anstiftet oder ihr dabei hilft, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 erfüllt sind, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis bestraft.

    2 Wer eine Schwangerschaft ohne Einwilligung der schwangeren Frau abbricht, wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren bestraft.

    3 Die Frau, die ihre Schwangerschaft nach Ablauf der zwölften Woche seit Beginn der letzten Periode abbricht, abbrechen lässt oder sich in anderer Weise am Abbruch beteiligt, ohne dass die Voraussetzungen nach Artikel 119 Absatz 1 erfüllt sind, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft.

    4 In den Fällen der Absätze 1 und 3 tritt die Verjährung in zwei Jahren ein.

    Art. 119

    1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist.

    2 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ebenfalls straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau, die geltend macht, sie befinde sich in einer Notlage, durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt vorgenommen wird. Die Ärztin oder der Arzt hat persönlich mit der Frau vorher ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten.

    3 Ist die Frau nicht urteilsfähig, so ist die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich.

    4 Die Kantone bezeichnen die Praxen und Spitäler, welche die Voraussetzungen für eine fachgerechte Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und für eine eingehende Beratung erfüllen.

    5 Ein Schwangerschaftsabbruch wird zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde gemeldet, wobei die Anonymität der betroffenen Frau gewährleistet wird und das Arztgeheimnis zu wahren ist.

    Art. 120

    1 Mit Haft oder mit Busse wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der eine Schwangerschaft in Anwendung von Artikel 119 Absatz 2 abbricht und es unterlässt, vor dem Eingriff:

    1. von der schwangeren Frau ein schriftliches Gesuch zu verlangen;
    2. persönlich mit der schwangeren Frau ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten, sie über die gesundheitlichen Risiken des Eingriffs zu informieren und ihr gegen Unterschrift einen Leitfaden auszuhändigen, welcher enthält:
      1. ein Verzeichnis der kostenlos zur Verfügung stehenden Beratungsstellen,
      2. ein Verzeichnis von Vereinen und Stellen, welche moralische und materielle Hilfe anbieten, und
    3. Auskunft über die Möglichkeit, das geborene Kind zur Adoption freizugeben; sich persönlich zu vergewissern, dass eine schwangere Frau unter 16 Jahren sich an eine für Jugendliche spezialisierte Beratungsstelle gewandt hat.

    2 Ebenso wird die Ärztin oder der Arzt bestraft, die oder der es unterlässt, gemäss Artikel 119 Absatz 5 einen Schwangerschaftsabbruch der zuständigen Gesundheitsbehörde zu melden.

    Literatur

    1 Winikoff B, Dzuba IG, Chong E, Goldberg AB, Lichtenberg ES, Ball C, Dean G, Sacks D, Crowden WA, Swica Y. Extending outpatient medical abortion services through 70 days of gestational age. Obstet Gynecol. 2012 Nov;120(5):1070-6. doi: 10.1097/aog.0b013e31826c315f. PMID: 23090524.

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    6 Abubeker FA, Lavelanet A, Rodriguez MI, Kim C. Medical termination for pregnancy in early first trimester (≤ 63 days) using combination of mifepristone and misoprostol or misoprostol alone: a systematic review. BMC Womens Health. 2020 Jul 7;20(1):142. doi: 10.1186/s12905-020-01003-8. PMID: 32635921; PMCID: PMC7339463.

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    8 Sääv I, Kopp Kallner H, Fiala C, Gemzell-Danielsson K. Sublingual versus vaginal misoprostol for cervical dilatation 1 or 3 h prior to surgical abortion: a double-blinded RCT. Hum Reprod. 2015 Jun;30(6):1314-22. doi: 10.1093/humrep/dev071. Epub 2015 Apr 2. PMID: 25840429.

    Autor: J. Kreienbühl
    KSW Version: 1.0, 04/2023