Hyperemesis gravidarum

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Schwangerschaftsbedingte Übelkeit und/oder Erbrechen betrifft bis zu 80% aller Schwangeren.

Die Hyperemesis gravidarum als schwere Form des schwangerschaftsbedingten Erbrechens, bei der es zu Exsikkose, Elektrolytveränderungen und Gewichtsabnahme kommt betrifft 0,5 bis 3,6% aller Schwangeren.

Klinik

Typischer Beginn der Symptome Übelkeit und rezidivierendes Erbrechen 5-10x/Tag (morgendlich oder über den ganzen Tag verteilt) in der 5.-6. SSW mit einem Peak in der 9. SSW und einem Andauern bis zur 16.-20. SSW (90% aller Frauen sind nach der 20. SSW beschwerdefrei).

Zusätzlich Gewichtsverlust mehr als 5% oder > 3kg des Ausgangsgewichts vor der Schwangerschaft, Exsikkose und Elektrolytverschiebungen.

Zur Objektivierung des Schweregrades der Hyperemesis gravidarum wird in internationalen Leitlinien die Verwendung von Scores, wie z.B. dem PUQE-Score (Pregnancy-Unique Quantification of Emesis and Nausea) empfohlen, entwickelt durch das Motherisk-Programm in Canada.

Diese können zur Einteilung des Schweregrades (mild, moderat, schwer) sowie zur Beurteilung des Therapieerfolges verwendet werden.

Diagnostik

Anamnese:    

  • Hyperemesis gravidarum in einer vorausgegangenen Schwangerschaft
  • PUQE-Score
  • Bauchschmerzen, Miktionsbeschwerden, Infektzeichen, Medikamenteneinnahme, chronische H. pylori-Infektion

Untersuchung

  • BD, Puls, 02-Sättigung, AF, Gewicht
  • Palpation des Abdomens
  • Ultraschall: intrauterine, intakte Gravidität, Mehrlinge, Trophoblasterkrankung?

Labor:

  • Urinstatus: Ketonkörper, spez. Gewicht/Dichte
  • Blutbild (Infektion, Anämie, Hämatokrit?)
  • Elektrolyte: Natrium, Kalium, Calcium, Chlorid
  • Kreatinin, Harnstoff
  • ALAT/ASAT (Erhöhung in bis 40% der Patientinnen mit HG, typ. ALAT>ASAT, ALAT mit milder Erhöhung auf 2-3fach der Norm möglich). 
  • TSH, fT3, fT4 (Schilddrüsenstimulierende Wirkung β-HCG à Erhöhung fT4 oder Verminderung TSH < 0,4 mU/L) bei negativen Autoimmunantikörpern (=transient biochemical thyreotoxicosis – kein Therapie – Normalisierung mit Regredienz der Symptome)

Bei schweren/rezidivierenden Fällen oder Vorerkrankungen: 

  • aBGA (metabolische Entgleisung)
  • Blutzuckerkontrolle bei Diabetes (Ketoazidose)
  • Amylase (Pankreatitis)
  • alk. Phospatase, Bilirubin

Differentialdiagnosen

Die Hyperemesis gravidarum ist eine Ausschlussdiagnose, andere Ursachen müssen ausgeschlossen werden.

  • gastrointestinale Erkrankungen: Magen-/Duodenalulkus, Cholezystitis, Pankreatitis, Appendizitis, Gastroenteritis, Hepatitis, chron. H. pylori-Infektion
  • Pyelonephritis, Nierensteine
  • Metabolische Erkrankungen (diabetische Ketoazidose, Porphyrie, M. Addison, Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus) 
  • Neurologische Erkrankungen (ZNS Tumore, vestibuläre Störungen, Wernicke-Enzephalopathie, Migräne, Pseudotumor cerebri, Essstörungen, psychiatrische Erkrankungen)
  • Medikamenteninduziertes Erbrechen

Therapie

  • Ernährungs- und Lifestyle-Beratung: kleine, häufigere Mahlzeiten alle 1-2 h. Überfüllung des Magens/leeren Magen meiden. Keine scharfen, fettigen, sehr süßen Speisen. Trockene, wenig gewürzte Snacks und kaltes Essen, Pfefferminztee oder Pfefferminzbonbons können Symptome lindern. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Kaffee, Kohlensäure meiden.

  • Bereits präkonzeptionell Multivitaminpräparat. Bei ersten Symptomen erfolgt die Umstellung auf ein Folsäure-Monopräparat, Vermeidung von eisenhaltigen Präparaten.

  • Stressoren und sensorische Stimuli wie Gerüche, Hitze / hohe Luftfeuchtigkeit, Lärm, grelles / flackerndes Licht vermeiden

  • Akupressur: Pe-6 Druck (3 Querfinger proximal des Handgelenks, zwischen den Sehnen des M. palmaris longus und des M. flexor radialis), Du 12, Du 20

  • Bei Status nach schwerer HG Beginn in einer Folgeschwangerschaft bereits vor Symtombeginn

      Flüssigkeitshaushalt

  • ca. 30-40 ml/kgKG/Tag
  • à z.B. Patientin 50 kg: 1000ml Ringer und 1000ml 5% Glucose in 24h

Magenschutz

  • additiv bei Symptomen oder belasteter Anamnese
  • Ranitidin als H2-Rezeptorantagonist
  • PPI (Omeprazol, Pantoprazol) als H1-Protonenpumpenhemmer

Parenterale oder enterale Ernährung

Falls eine Nahrungsaufnahme nicht möglich ist, erfolgt diese parenteral über einen peripheren bzw. Zentralvenösen Zugang. Dies gewährleistet den Flüssigkeits- und Kalorienbedarf und deckt den Bedarf an Glukose, Lipiden und Aminosäuren. Das Volumen der Applikation ist dabei vom Gewicht der Schwangeren abhängig.

Verlaufskontrollen

  • Ustix auf Ketone im Morgenurin
  • 1x/Tag (morgens) wiegen
  • niedermolekulares Heparin in prophlaktisher Dosierung 1x/Tag, Antithrombosestrümpfe
  • Elektrolyte (K, Ca, Na), Kreatinin verlaufskontrollieren

Literatur

  • Committee on Practice Bulletins-Obstetrics. ACOG Practice Bulletin No. 189: Nausea And Vomiting Of Pregnancy. Obstet Gynecol 2018; 131: e15-e30
  • www.embryotox.de
  • Einarson TR, Piwko C, Koren G. Quantifying the global rates of nausea and vomiting of pregnancy: a meta analysis. J Popul Ther Clin Pharmacol 2013; 20: e171-e183.                 
  • Lacasse A, Rey E, Ferreira E. et al.. Validity of a modified Pregnancy-Unique Quantification of Emesis and Nausea (PUQE) scoring index to assess severity of nausea and vomiting of pregnancy. Am J Obstet Gynecol 2008; 198: e71-e77
  • Matthews A, Haas DM, O'Mathúna DP, Dowswell T. Interventions for nausea and vomiting in early pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2015; 
  • Lara S Lemon et al.; Ondansetron Use in the First Trimester of Pregnancy and the Risk of Neonatal Ventricular Septal Defect; Int J Epidemiol. 2020 Apr
  • Frauenheilkunde up2date 2018; 12(06): 498 – 507. DOI: 10.1055/a-0595-7287
    SOP/Arbeitsablauf Nausea, Emesis, Hyperemesis gravidarum. Bryan, Corinna S.

Autor: Nadine Muschel
Version: 1.0