Hyperandrogenämie

Inhaltsverzeichnis

Definitionen

  • Hyperandrogenämie: Nachweis erhöhter Androgenspiegel
  • Hyperandrogenismus: verstärkte Androgenwirkung am Endorgan (Akne, Alopezie, Hirsutismus), kann mit normalen Androgenspiegeln einhergehen!
  • Hirsutismus: männliches Behaarungsmuster bei der Frau, dicke Terminalhaare in den androgensensitiven Körperregionen
  • Hypertrichose: vermehrte geschlechterspezifische Behaarung, Wachstum feiner, meist heller Haare am ganzen Körper, z.B. Unterarme, Unterschenkel, Sakralregion (Ursachen z.B. Anorexia nervosa, Medikamente usw.)
  • Virilisierung: „Vermännlichung“, z.B. Klitorishypertrophie (definiert als Glans-Länge >10mm), Zunahme der Muskelmasse, tiefe Stimme, frontale Glatze

Ätiologie

  • PCOS (70-95%) Ausschlussdiagnose
  • Idiopathischer Hyperandrogenismus (10-20%)
  • Adrenaler Enzymdefekt, sog. late-onset adrenogenitales Syndrom = AGS (1-10%)
  • Androgenproduzierende Tumore (0-2%)
  • Cushing Syndrom (<1%)
  • Hyperprolaktinämie (<1%)
  • Akromegalie (<1%)
  • Exogen zugeführte Androgene/Steroide (<1%)
  • Ovarielle Hyperthekose (einzelne Fallberichte)

In Kindheit prämature Adrenarche (Scham/Achselbehaarung, Schweissgeruch, Akne) durch:

  • Isolierte prämature Adrenarche: bei Adipositas häufiger
  • Zentrale Pubertas praecox
  • Adrenale/ovarielle Tumore
  • Kongenitale Nebennierenhyperplasie
  • Exogen zugeführte Androgene (zumeist akzidentell)

Diagnostik

Basisdiagnostik

(frühzyklisch, Androgene variieren zyklusabhängig, ausser DHEAS)

Modifizierter Ferriman-Gallwey-Score

  • >4-6 (abhängig von Ethnizität)
  • Stärkerer Hirsutismus in Middle Eastern, Hispanic and Mediterranean
  • Milderer Hirsutismus in East Asians und Kaukasierinnen 
  • Ausmass des Hirsutismus korreliert nicht mit dem Ausmass der Androgenerhöhung!

Alopezie (Ludwig Score)

  • Ursächlich oft vermehrte 5alpha-Reduktase-Aktivität und erhöhtes DHT

Akne

Freier Androgenindex (FAI)

  • FAI = [Testosteron in ng/ml x 347] \ [SHBG in nmol/L]
  • Online Rechner verfügbar, unser Labor gibt Testosteron in nmol/L an => muss daher zuerst umgerechnet werden
  • Referenzwert:

20-49 Jahre 0.3-5.6% normal

>50 Jahre 0.2-3.6% normal

  • Interpretation:
    • Erhöhung SHBG mit Erniedrigung FAI durch Östrogene, Lebererkrankungen (Zirrhose, Hepatitis), Medikamente, Schwangerschaft
    • Erniedrigung SHBG und Erhöhung FAI durch Adipositas, Hyperinsulinämie, Akromegalie, nephrotisches Syndrom, Glukokortikoide
  • Messung von freiem Testosteron (bioverfügbares) und totalem Testosteron sollte massenspektrometrisch/chromatographisch erfolgen
    • Totales Testosteron stabiler als freies Testosteron
    • Testosteron lipophil, 60% im Plasma gebunden an SHBG, 30-40% an Albumin
    • nur 2% ungebundenes Testosteron (=biologisch wirksam)

Androstendion und DHEAS

  • wichtigste Marker der adrenalen Hyperandrogenämie, da DHEAS zu 90% aus der Nebenniere kommt
  • Bei 10% der Patientinnen die einzige Abnormalität

Erweiterte Basisdiagnostik

  • 17-OH-Progesteron (frühzyklische Bestimmung)
  • Indikation ACTH-Test:
    • 17-Hydroxyprogesteronspiegel von >2.5 ng/ml
    • 17-Hydroxyprogesteronspiegel von > 1.5 ng/ml und Testosteronkonzentration von >0.9 ng/ml und/oder DHEAS- Spiegel von >3 μg/ml
  • Cortisol
    • Falls erhöht Dexamethason-Kurztest zum Ausschluss Cushing-Syndrom
    • Suppression Cortisol durch Dexamethason nicht möglich => V.a. Cushing-Syndrom und weitere Abklärungen diesbezüglich
  • Testosteron
    • Initial über 1.5-2.0 ng/ml oder DHEAS über 7 μg/ml bzw. rasch progrediente Androgenisierung Bildgebung zum Ausschluss androgenproduzierender Tumor des Ovars oder der NNR
  • Prolaktin: Hyperprolaktinämie als seltenen Grund für Hirsutismus ausschliessen

 ACTH-Test

  • Zuweisung in Kinderwunsch- und Hormonsprechstunde
  • Durchführung in Follikelphase, da Interpretationsprobleme in der Lutealphase durch physiologisch erhöhtes Progesteron

Durchführung ACTH-Test

  • Morgentliche Blutentnahme: Cortisol, 17-OHP
  • Verabreichung von Synacthen (1 Amp. Synacthen à 0,25 mg i.v.)
  • 2. Blutentnahme nach 60 Minuten: Cortisol stimuliert, 17-OHP
  • Interpretation: Ein Anstieg des 17-OHP um mehr als 2.5ng/ml => molekulargenetische Abklärung

Verordnung Synacthen

Genetische Abklärung

  • Genetische Beratung zwingend (durch den betreuenden Facharzt innerhalb des Fachgebietes möglich)

Kostengutsprache stellen
 

Steroidstoffwechsel

 

Zusammenfassung Diagnosealgorithmus

 

Die vier häufigsten Erkrankungen beim Hirsutismus

1. PCOS 

2. Idiopathischer Hirsutismus

  • normale Androgenspiegel, normale Zyklen und normale Ovarien Ausschlussdiagnose!

3. Late-onset adrenogenitales Syndrom (AGS), auch genannt: NCCAH (non-classical congenital adrenal hyperplasia)

  • Zahlreiche Mutationen im CYP21A2-Gen beschreiben
  • 10 Mutationen treten bei 90% der AGS Patientinnen auf
  • Oft heterozygoter Carrier-Status
  • Häufigster Enzymdefekt für AGS ist der 21-Hydroxylase-Mangel
    • Klassisches AGS: Prävalenz 1:7000- 1:15'000, keine bzw. nur minimale Restaktivität des Enzyms, weibliche Feten mit Virilisierung des äusseren Genitale, in 75% mit Salzverlustsyndrom, erhöhte Androgenkonzentration, verminderte Kortisol- und Aldosteronkonzentration
    • Nicht-klassisches AGS (late onset): Prävalenz 1:1000 in Mitteleuropa und USA, 1:27 unter aschkenasischen Juden, Restaktivität des Enzyms von bis zu 50%

4. Androgen sezernierende Tumoren am Ovar oder in der NNR

  • z.B. Sertoli-Leydig-Zell-Tumoren, Granulosa-, Hiluszelltumoren
  • Ausschluss mittels Sonographie, CT, MRI
  • am häufigsten in der Menopause
  • rasche Progredienz (typischerweise < 1 Jahr)

Therapien

nach Ätiologie

  • PCOS
  • Idiopathischer Hirsutismus
    • Primär mechanische Verfahren
  • Idiopathischer Hyperandrogenismus
    • Symptomatische Behandlung je nach Hauptproblematik
  • Late onset AGS

Ohne Kinderwunsch

  • Antiandrogene KOK
  • CAVE: keine drospirenonhaltigen Kontrazeptive (YAZ, Yasmin…), aufgrund Aldosteron-antagonistischem Partialeffekt
  • Ggf. zusätzlich 0.25 mg Dexamethason bzw. 5 mg Prednisolon vor dem Zubettgehen -> Senkung der hypophysären ACTH-Ausschüttung und Reduktion der adrenalen Androgenausschüttung (strenge Indikationsstellung)

Mit Kinderwunsch

  • Oft liegt heterozygoter oder compound-heterozygoter Enzymdefekt des CYP21A2-Gens vor, daher genetische Beratung und Abklärung des Kindsvaters bzgl. Carrier-Status
  • Sofern Frau heterozygot und Partner ohne Mutation keine weitere Abklärung oder Therapie notwendig
  • ggf. Prednisolon 5mg zur Nacht zur Senkung der Androgenkonzentration, nicht plazentagängig, Behandlung kann in SS fortgesetzt werden, verminderte Rate an Fehlgeburten in diesem Kollektiv, engmaschige Kontrollen! (strenge Indikationsstellung)
  • In Schwangerschaft: ggf. Umstellung auf Dexamethason-Therapie kann bei weiblichen Feten die Virilisierung des äusseren Genitales verhindern, ist plazentagängig. Wenn in Pränataldiagnostik Nachweis männlicher Fet, oder nicht betroffener/heterozygoter weiblicher Fet kann die Therapie beendet werden, oder wenn indiziert wieder auf Prednisolon umgestellt werden (CAVE: strenge Indikationsstellung, interdisziplinärer Therapiefestlegung).

Symptomatische Behandlung

Hirsutismus

  • Mechanische Verfahren der Haarentfernung: Epilieren, Laser, Wachsen, chem. Depilation
  • Fotodokumentation Gesicht => für Kostengutsprache an Krankenkasse
  • Vaniqa (Eflornithin Creme)
    • 1/3 der Patienten spricht sehr gut an, 1/3 mäßig gut und 1/3 überhaupt nicht
    • Der Effekt geht 8 Wochen nach Absetzen der Therapie wieder verloren
  • Medikamentöse Therapie (KOK, antiandrogene KOK, antiandrogenes Monogestagen) bei Persistenz über 6 Monate ggf. zusätzlich Antiandrogene, hier zwingend gesicherte Antikonzeption, da teratogenes Potential (männlicher Pseudohermaphroditismus!)

Alopezie

  • Orale Antiandrogene (z.B. Androcur), ggf. in Kombi mit E2 zur Zyklusstabilisierung
  • Topisch: Minoxidil-haltiges Haarwasser
  • Wirkeintritt nach 6-12 Monaten zu erwarten
  • Ggf. Finasterid

Akne

  • Antiandrogene KOK
  • Lokalmassnahmen: Retinoide, topisch antimikrobielle Substanzen

 Antiandrogene KOK

  • Dienogest (DNG) z.B.: Valette®, Qlaira
  • Drospirenon (DSP) z.B. Yasmin®, Yasminelle®, Yaz® bzw. Generika mit 30 bzw. 20 μg EE + 3 mg DSP
  • Chlormadinonacetat (CMA) z.B. Belara®, Belarina® bzw. Generika mit 30 bzw. 20 μg EE + 2 mg CMA
  • Cyproteronacetat (CPA) z.B. Diane- 35® bzw. Generika mit 35 μg EE + 2 mg CPA

 Andere Anti-Androgene Threrapie

  • Cyproteronacetat z.B. mit E2 kombiniert als Diane 35, oder Androcur 5-10 mg/d
  • Spironolacton: synthetischer Aldosteronantagonist, kompetitive Hemmung der Androgenrezeptoren, 5-alpha Reduktasehemmung, off label use, 100 mg/d, sichere Antikonzeption zwingend (teratogen)
  • Finasterid: 5-alpha Reduktasehemmer, 2.5-7.5 mg/Tag, sichere Antikonzeption zwingend
  • Flutamid: dosisabhängige Androgenrezeptorhemmung, off label use, 250-750mg/d, CAVE: hepatotoxisch, engmaschiges Monitoring nötig

Literatur

Autor: L. Gabriel
Autorisiert: F. Götze
KSW Version: 2.0, 09/2024