Interstitielle Cystitis / Bladder Pain Syndrome

Inhaltsverzeichnis

Die Interstitielle Zystitis (IC) und das Bladder Pain Syndrome (BPS) stellen (neben der OAB mit und ohne Dranginkontinenz) einen Teilbereich der Hypersensitiven Blase (HSB) dar.

BPS: chronische Unterbauchschmerzen, Druck und Unwohlsein im Bereich der Blase plus

  • imperativer/starker Harndrang (urgency) und/oder
  • ständiger Harndrang (frequenzy/Pollakisurie)

IC: Symptome des BPS mit Vorliegen zusätzlicher zystoskopischer und/oder histologischer Veränderungen

Cave: Ausschluss anderer ursächlicher Pathologien (bspw. Infektion oder andere Grunderkrankungen)

Bisher nicht hinreichend geklärt.       

Man geht ursächlich von einer Dysfunktion des Urothels mit Zerstörung der Glykosaminoglykan (GAG)- Schicht aus. Dadurch gelangen reizende Substanzen aus dem Urin (u.a. K-Ionen) in die Submucosa und in tiefere Schichten der Harnblasenwand. Über verschiedene Vorgänge kommt es u.a. zur Mastzellaktivierung und Histaminfreisetzung und zur Up-Regulation von C-Nervenfasern. Eine nachweisbare, erhöhte Konzentration an Immunglobulinen und Entzündungsmarkern im Urin, eine neuronale Überaktivität, exogene Faktoren, die die Urothelschädigung induzieren, die Modulation von Schmerzrezeptoren durch chronische Stimulation mit konsekutiver Amplifikation der Schmerzempfindung, sind nur einige der vielen Erklärungsansätze.

Neuere Untersuchungen beschäftigen sich ferner mit Biomarkern aus dem Urin, Stuhl oder aus Blasenbiopsien. Zudem wird an dem möglichen Zusammenhang des Mikrobioms und BPS/ICS geforscht.

  • Leitsymptom: suprapubischer Schmerz, Schmerzen im Beckenbereich
  • Beschwerden im Zusammenhang mit Füllung der Blase, häufig kurzfristige Besserung der Beschwerden nach Entleerung der Harnblase
  • Imperativer/starker Harndrang, Pollakisurie, Nykturie
  • Dysurie selten; fehlende Bakteriurie
  • Dyspareunie
  • Depressive Verstimmung
  • Abnehmende Blasenkapazität bis hin zur Schrumpfblase
  • Miktionstagebuch (typisch geringe Volumina 100-150ml, erhöhte Miktionsfrequenz 20-25/d) ggf. Schmerztagebuch mit visueller Analogskala (VAS)
  • Beckenbodenfragebogen (Deutscher Beckenbodenfragebogen)
  • Anamnese
  • Klinische Untersuchung: Inspektion/Palpation der suprapubischen Region sowie intravaginal/perianal/Blasenhals
  • Urosonographie
  • Abstriche vaginal und urethral (allg Bakt/ Mykoplasmen /Ureaplasmen/ Chlamydien)
  • Urinuntersuchung: Urinstix und Urinkultur (Ausschluss Infektion)
  • Zystoskopie (zum Ausschluss andere Blasenpathologien (u.a. Tumor, Fremdkörper), mögliche Erkennung von Hunner´schen Ulcera (in der frühen Phase der Füllung)), nicht zur Diagnose
  • Vorstellung Beckenbodenboard, Planung weitere Abklärung bei der Neurourologie oder Urogynäkologie
  • Ggf. urodynamische Untersuchung
  • Ggf. Zystoskopie mit Hydrodistension (s.u.): Harnblase, die vor Hydrodistension normal erscheint, kann danach Glomerulationen, Rhagaden/Cracking oder Blutungen aufweisen
  • Ggf. Blasenbiopsie in Narkose (typische Histologie: vermehrte Nervenfaser- und Mastzelldichte, aber nicht beweisend)

Zystoskopische Befunde: links Hunner Ulcus, rechts Einblutungen

Allgemeine Massnahmen

  • Beckenbodenphysiotherapie mit Biofeedback zur Relaxation
  • Blasentraining zur Steigerung der Blasenkapazität (ggf. Urotherapie)
  • Verhaltenstherapie, Stressreduktion durch Entspannungstechniken, Yoga, Akupunktur u.a.
  • TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation)
  • Diätetische Maßnahmen: Vermeidung von Koffein, Alkohol, Süßstoffen, scharfen Gewürzen und Getränken mit urinansäuernder Wirkung

Antidepressiva/Antikonvulsiva

  • Amitryptilin (Saroten®)
    • Wirkung: stabilisiert Mastzellen, unterdrückt zentrales Schmerzempfinden
    • einschleichende Dosierung: 10-25mg 1x tgl (zur Nacht) bis max. 150mg/d, max. Einzeldosis 75mg
    • UAW: anticholinerg, meistens limitierender Faktor, zentralnervöse und kardiovaskuläre NW (Cave: Interaktion bei gleichzeitiger Einnahme von Ciprofloxacin und Trimetoprim/Sulfamethoxazol: QT-Zeit Verlängerung, Torsade de pointes Tachykardie)
    • Mitrazapin, keine anticholinergen NW, Studienlage schlecht, einschleichende Dosierung: 15mg am Abend, 15-45mg/d
    • Gabapentin: 100-300mg, Erhöhung alle 4-7 Tage bis 900-1200mg/d
    • Pregabalin: 75mg, Erhöhung wöchentlich bis max. 450mg/d

 

Antihistaminika

  • Hydroxyzin (Atarax ®): 25mg, NW: Sedation
  • Cetirizin (Zyrtec ®): 10mg/Tag

Analgetika

  • kein einheitliches Behandlungskonzept vorliegend, individuelle Dosierung und Anwendung je nach Schmerzsymptomatik und individuellem Ansprechen.
  • z.B. Metamizol 500mg bis 8x täglich, Tramadol 50mg retard 2x tgl, Oxycodon 10mg 2x tgl, Butylscopolamin 10mg Drg bis max. 8x/Tag
  • CAVE: NSAR und Morphine können Histamin freisetzen und Symptomatik verstärken

Sonstige

  • Pentosanpolysulfat (Heparinoid, in der Schweiz nicht erhältlich, erhältlich in Deutschland und Italien): meist untersuchter Wirkstoff bei IC
  • Wirkung: Symptomlinderung durch Reparatur der GAG-Schicht, 100 g/d,
  • UAW: Haarausfall, GI-Beschwerden
  • Empirische Therapie mit Doxycyclin 200mg per os für 14 Tage (inkl. Partnertherapie: Azithromycin1g), Myko-/Ureaplasmen oft mit-verantwortlich, schwer nachweisbar
  • Versuchsweise: Librax® Drag 2x1, Lorazepam (Temesta ®) 1mg, steigerbar bis 3x täglich, Cave: Abhängigkeitspotential

Vorteile der intravesikalen Instillation sind die lokale Wirkung und die Möglichkeit hohe Medikamentendosierungen in die Blase zu instillieren ohne systemische Nebenwirkungen.

Als Wirkstoffe kommen Heparin, Hyaluronsäure, Chondroitin-Sulfat, Lidocain, Dimethylsulfoxid (DMSO), Naropin, Natriumhydrogencarbonat und Liposome in Frage.

Die bei uns am häufigsten zur Anwendung kommenden Substanzen sind:

  • DMSO (DiMethylSulfoxid-Instillation)
    • Wirkung: muskelrelaxierend, entzündungshemmend, schmerzlindernd, mastzellstabilisierend. UAW: Knoblauchgeruch
  • Cocktail aus 50% DMSO (50ml), 100mg Hydrocortison (5ml), 10'000IE Heparinsulfat (10ml), 0.5% Bupivacain (10ml)
  • 20 min Instillation, 1x wöchentlich, für 12 Wochen

 

  • IALURIL Prefill®: 50ml sterile Spritze mit Hyaluronsäure (1.6%) und Chondroitinsulfat (2%)
  • Wirkung: Wiederherstellung der Glycosaminoglycan-Schichten des Urothels und Reduktion der Schmerzen
  • 20-30 Min Instillation,1x wöchentlich für 4 Wochen, danach je nach Ansprechen weitere Instillationen (2x/Monat) bis stabiler Verlauf
  • Cave: Kostengutsprache stellen

 

  • INSTILLAMED®: 50ml Lösung, 800mg Natrium-Hyaluronat, 1000mg Chondroitinsulfat
  • 30 Min Instillation, 1x wöchentlich für 4 Wochen, danach 1x/Monat bis insgesamt 6 Monate
  • Cave: Kostengutsprache stellen

 

  • Lidocain/Levobupivacaine (Chirocain ®)
  • 2 Ampullen unverdünnt instillieren und so lange wie möglich wirken lassen
  • Wirkung: Schmerzreduktion durch kurzzeitige Blockierung der sensorischen Nervenfasern. Schneller Wirkeintritt und Wirkung bis zu 12h
  • Hausintern eher zur Diagnostik verwendet. Bei gutem Ansprechen und Schmerzreduktion: Planung von bspw. DMSO

Invasive Massnahmen

  • Hydrodistension in Narkose
    • Wirkung: Regeneration der afferenten Nervenfasern, antientzündlicher Effekt und Reduktion des NGFs (neuroepithelial growth factor)
    • Füllen der Harnblase mit physiologischer Kochsalzlösung bis zur max. Füllung (800-1000ml) mit einem Druck von 60-80cmH2O unter stetiger endoskopischer Beobachtung
    • Druck sollte unter maximaler Füllung 1-3 Minuten gehalten werden
    • DK bis zum Sistieren einer Hämaturie oder bis Patientin nach Narkose wieder Kontrolle über Blasenentleerung hat
    • Cave: Makrohämaturie und Harnblasen-Tamponade möglich (sorgfältige Durchführung unter ständiger optischer Kontrolle und mit kontrolliertem Druck)
  • Intravesikale Botoxinjektion
    • 100E unter zystoskopischer Sicht
  • Sakrale Neurostimulation
  • Blasenaugmentation oder Zystektomie mit Neoblase (ultima ratio bei kleiner fibrosierter Blase, nach Ausschöpfung aller anderen Therapieoptionen)
  • S2K-Leitlinie, Diagnostik und Therapie der Interstitiellen Zystitis (IC/BPS), AWMF online 2018
  • Marcu I et al. Interstitial Cystitis/Bladder Pain Syndrome. Semin Reprod Med 2018 Mar; 36 (2):123-135
  • Tailor V et al. Understanding bladder pain syndrome/interstitial cystitis. Int Urogynecol J 2020 Feb 24
  • Dellis AE et al. Is there an effective therapy of interstitial cystitis/bladder pain syndrome. Expert Opin Pharmacother 2019 Aug; 20(12): 1417-1419

Autor: S. Aichner
Überarbeitet: P. Kleimann
KSW-Version: 1.0, 01/2024