Hebammengeleitete Geburtshilfe (HGGH)

Inhaltsverzeichnis

Hintergründe der hebammengeleiteten Geburtshilfe

Bei der hebammengeleiteten Geburt (HGGH) betreut die Hebamme Paare in physiologischen Situationen selbständig und eigenverantwortlich ohne Beisein eines/r Arztes/Ärztin während der Geburt. Die HGGH stellt im Kantonsspital Winterthur KSW eine Ergänzung zum herkömmlichen ärztlichen/ Hebammen-System dar. Durch kontinuierliche Risiko-Einschätzungen während Schwangerschaft und Geburt kann bei Auftreten von Regelabweichungen jederzeit ein Wechsel von der HGGH ins ärztliche/ Hebammen-System erfolgen, ohne dass sich für die Schwangere das Setting ändert. Die HGGH wird von den Spitalhebammen des KSW durchgeführt.

Mitgeltende Dokumente

HGGH Kriterien

HGGH Einverständniserklärung

Voraussetzungen seitens Hebammen

Voraussetzung zur Durchführung der HGGH ist mindestens 1 Jahr Berufserfahrung (80-100%) in einem Gebärsaal.

Bei der HGGH arbeitet die zuständige Hebamme autonom und trägt die Verantwortung für den Geburtsverlauf. Zur Geburt kommt immer eine zweite Hebamme dazu (diese muss jedoch nicht die Kriterien der HGGH erfüllen, kann z.B. auch eine Hebammenstudentin im letzten Praktikum sein). In jedem Dienst ist somit mindestens eine Hebamme eingeteilt, die HGGH anbieten kann. Die HGGH wird von allen Hebammen angeboten, die sich dafür qualifizieren.

Voraussetzungen zum selbständigen Nähen

Alle kleinen Geburtsverletzungen (DR I°, DR II°, Vaginalriss, Labienriss) dürfen von der Hebamme versorgt werden. Bei grösseren Geburtsverletzungen wird der Dienst-Arzt zugezogen.

Die Hebammen müssen einen internen Nahtkurs besucht haben und mindestens 5 Nähte unter Supervision eines/ einer Oberarztes/ Oberärztin durchgeführt haben, bevor sie selbständig nähen dürfen.

Ein- und Ausschlusskriterien Gebärende

Die Schwangeren, die sich für eine HGGH interessieren können sich über ihren Zuweiser oder direkt bei uns für die HGGH anmelden lassen (SSW 30-32).

Sie werden danach für ein Vorgespräch aufgeboten, in dem allfällige Risiken oder Ausschlusskriterien besprochen werden. Das Gespräch wird mittels des Kriterienkataloges dokumentiert und die verschiedenen Risiken festgehalten. Das Dokument wird anschliessend eingescannt und in der Akte (KIS/Synedra) abgelegt.

Indikationen für eine HGGH

Grundsätzlich qualifizieren sich Schwangere für eine HGGH mit:

  • Physiologischem Schwangerschaftsverlauf bei Mutter und Kind
  • Guter Gesundheitszustand der Schwangeren
  • Einlingsschwangerschaft
  • Schädellage
  • Normaler Plazentasitz
  • 36+0 SSW bis T+10
    Ausnahme: Frau mit VBS kommt T+10, mit oder ohne Wehencocktail, entwickelt Kontraktionen -> darf T+11 HGGH gebären
  • Geschätztes Geburtsgewicht ≥2500g

Zusätzliche Kriterien, welche nicht per se zu einem Ausschluss führen:

  • Diverse Allergien
  • HbsAg positiv
  • Streptokokken B positiv (Frau muss sich schriftlich für oder gegen i.v. Antibiose aussprechen)
  • Hypotonie ohne Kreislaufprobleme

Relative Kontraindikationen für eine HGGH

Bei den relativen Kontraindikationen bedarf es einer Konsultation/Besprechung beim/ bei der diensthabenden leitenden Arzt/ Ärztin bzw. Chefärztin zur Einzelfallbeurteilung, ob eine HGGH möglich ist.

  • Familiäre Belastung: gehäuftes Auftreten von Gerinnungsstörungen/Thomboseneigungen
  • Frühere schwere Erkrankungen (z.B: Epilepsie, Hirntumor)
  • Vorbestehende Erkrankungen (z.B. MS, etc.)
  • Eigene Thromboseneigung
  • Schwangere <16 Jahre
  • St. n. IUGR
  • St. n. Stiller Geburt oder geschädigtem Kind
  • Komplikationen pp. Bei vorausgegangener Geburt (z.B. man. Plazentalösung, Plazentarest)
  • St. n. Sectio ohne Längs- oder T-Schnitt
  • St. n. Uterusoperationen
  • St. n. PE oder HELLP
  • Dauermedikation
  • Nikotinabusus >20 Zigaretten/Tag
  • Blutungen in der Schwangerschaft
  • Polyhydramnion
  • Oligohydramnion
  • Terminunsicherheit
  • Indirekter Coombs-Test positiv
  • Diätetisch gut eingestellter GDM (keine Makrosomie und Polyhydramnion)
  • Viruserkrankungen (Herpes genitales, Candylome)
  • Fetale Fehlbildungen
  • Blutungsneigung, St. n. Atonie

Absolute Kontraindikationen für eine HGGH

Anamnese und bereits vorgeburtliche Diagnosen:

  • Ungeklärter anaphylaktischer Schock in der Anamnese
  • Blutgruppenkonstellation mit Inkompatibilität
  • Diabetes mellitus (Typ I &II)
  • Adipositas (BMI >40)
  • Kleinwuchs (<150cm)
  • Skelettanomalien
  • Komplikationen bei einer vorangegangenen Geburt (Schulterdystokie, vorz. Plazentalösung, kindl. Geburtsschäden, …)
  • St. n. Sectio mit Längs- oder T-Schnitt
  • Drogen-, Alkoholabusus
  • Plazenta prävia
  • Mehrlingsschwangerschaften
  • Anämie (<11g/dl zur Geburt)
  • Serologien: HIV positiv, Syphilis positiv, akute Hepatitis B
  • Insulinpflichtiger Gestationsdiabetes
  • BEL oder Querlage
  • Medikamentöse Geburtseinleitung
  • Plazentainsuffizienz

Wechsel in ärztliches/ Hebammen-System

Bei Auftreten der folgenden Risiken unter Geburt muss der/ die Dienstarzt/ Dienstärztin informiert werden und die Frau fällt aus der HGGH raus und wird im ärztlichen/ Hebammen-System weiterbetreut.

Ebenfalls muss bei den nachfolgenden Kriterien des Neugeborenen ein/ eine Kinderarzt/ -ärztin hinzugezogen werden. Die Richtlinien bezüglich Zuzug Neonatologie sind analog ärztlichen/ Hebammen-System zu befolgen.

Geburtsrisiken

  • Frühgeburt <36+0 SSW
  • Terminüberschreitung ab T+10
  • Vorz. Blasensprung (ab 24h zur med. Einleitung in Abhängigkeit von Entzündungszeichen und Fruchtwasserfarbe, ambulante Wehencocktailgabe erlaubt)
  • Präeklampsie/HELLP
  • Verdacht auf Plazentainsuffizienz
  • Vorzeitige Plazentalösung
  • Uterine Blutungen
  • Verdacht auf AIS
  • Fieber unter Geburt (>38.5°C)
  • Pathologisches CTG oder auskultatorisch pathologische Herzfrequenz
  • Dick grünes FW
  • Nabelschnurvorfall
  • Protrahierte Geburt/Geburtsstilltand (3h in der EP nach definiertem Geburtsbeginn)
  • Geburtsstillstand in der AP (2h MMV und unauffälligem CTG)
  • Verdacht auf Kopf/Beckenmissverhältnis
  • Drohende/erfolgte Uterusruptur
  • Querlage/Schräglage
  • Beckenendlage
  • Einstellungsanomalien, die zu einem Geburtsstillstand führen oder Gesichts-/Stirnlagen, Vorderhauptslagen, hoher Geradstand, tiefer Querstand
  • Schulterdystokie
  • PDA, PCA
  • Syntocinon-Gabe sub partu
  • Vaginal-operative Geburtsbeendigungen
  • Stille Geburten

Postpartale Risiken

  • Blutverlust >500ml
  • Plazentalösungsstörungen
  • Unvollständige Plazenta
  • Komplizierte Geburtsverletzungen
  • Nahtversorgung >DRII°
  • Kreislaufregulationsstörungen
  • Vermehrte postpartale Blutung
  • Fieber (> 38.5°C)
  • Hypertonie (>140/90mmHg)
  • Harnverhalt
  • Thrombophlebitis, Thrombose, etc.
  • Psychische Auffälligkeiten
  • Anämie (<11g/dl)

Informations- und Aufklärungsgespräch

Erfüllt eine Schwangere mit Wunsch nach einer HGGH alle Kriterien, wird sie zu einem Informations-Aufklärungsgespräch bei der Hebamme (Sprechstunde) aufgeboten, je nach Wunsch der Schwangeren kann dies bereits um die 30. SSW stattfinden. Sie wird in der 34 – 36. SSW nochmals aufgeboten für einen US und den endgültigen Entscheid.

Inhalt des Informations- und Aufklärungsgespräches

  • Ausführliche Anamnese anhand des Kriterienkataloges durch die Hebamme
  • US durch OA/OÄ
  • Einverständniserklärung/Informationsblatt Schwangere (inkl. Unterschriften)

Geburtsleitung/Ablauf Geburt

Tritt eine Gebärende für die HGGH zur Geburt ein, wir der/ die DA/ DÄ darüber informiert. Die Frau wird wie üblich auf dem Notfallboard aufgeschaltet mit dem Vermerk "HGGH". Findet ein Wechsel von der HGGH in das ärztliche/ Hebammen-System statt, findet ein Übergabe-Rapport zwischen der Hebamme und dem/ der DA/ DÄ statt. Der Rapport wird durch den/ die DA/ DÄ schriftlich im Geburtsverlauf dokumentiert.

Aufnahme

  • Eintritts CTG
  • Grösse, Gewicht, Vitalzeichen, Urinkontrolle, Leopoldsche Handgriffe
  • VU
  • Venflon (Entscheid anhand des Kriterienkataloges und Unterschrift)
  • Eintrittslabor
  • Überprüfen der Dokumente auf Vollständigkeit (Familienbüchlein, Vaterschaftsanerkennung…)

Eröffnungsperiode

Die Hebamme wählt ein geeignetes Gebärzimmer aus, wenn immer möglich mit Badewanne (es ist keines für HGGH definiert).

CTG Überwachung: 2- stündlich, ab MM-Eröffnung 6cm Dauer-CTG

Die Verantwortung bezüglich der CTG-Interpretation obliegt der betreuenden Hebamme. Sie ist verpflichtet, regelmässig die Vitalzeichen und den Allgemeinzustand der Frau zu überprüfen und diesen zu dokumentieren. Die Wehentätigkeit sowie die Beurteilung des Geburtsfortschrittes anhand VU's werden regelmässig von der Hebamme durchgeführt. Das CTG wird nicht auf den externen Bildschirm übertragen, wenn die Hebamme im Zimmer anwesend ist. Somit ist der Arzt/ die Ärztin nicht verpflichtet einzugreifen, wenn er/sie die allfällige Pathologie nicht auf dem Monitor sehen kann.

Folgende Präparate sind in der EP zur medikamentösen Schmerztherapie zugelassen:

  • Buscopan Supp / p.os
  • Tramal Supp
  • Paracetamol p.os.
  • Nalbuphin (vgl., i.m. oder i.v.)
  • Buscopan i.v.
  • Bryophyllum i.v.
  • Gynipral zur Behandlung einer Polysystolie bei physiologischem CTG 

Austreibungsperiode

Es wird ein Dauer-CTG geschrieben.

Nach 2h MMV muss eine Info an den/ die DA/ DÄ erfolgen und die Frau fällt aus der HGGH raus.

Geburt

Es wird immer eine zweite Hebamme zur Geburt gerufen. Ist eine Episiotomie indiziert, wird diese durch die Hebamme geschnitten.

Plazentarperiode

Ob ein Syntocinonbolus standartmässig verabreicht wird, wird mit der Schwangeren im Vorgespräch geklärt und schriftlich festgehalten. Bei vermehrter Blutung oder verzögerter Plazentalösung muss Syntocinon nach Schema verabreicht werden. Ist die Plazenta nach 20 Minuten nicht geboren, muss der/ die DA/ DÄ informiert werden.

Postpartum

Analog normales Arzt/Hebammen-System

Dokumentation

Die Dokumentation obliegt der Hebamme. Sie führt die gesamte Dokumentation durch und erstellt auch die Verordnungen für das Wochenbett.

Ambulante Geburt

Analog normales ärztliches/ Hebammen-System

Wochenbett

Analog normales ärztliches/ Hebammen-System

Visiten

Analog normales ärztliches/ Hebammen-System

Zusatzversicherte Schwangere

Entscheidet sich eine zusatzversicherte Schwangere für eine HGGH findet die Geburtsleitung wie oben beschrieben statt. Fällt die Frau aus dem System, kommt ein/ eine LA/ LÄ, CÄ zur Geburt. (analog normales System).

Quellen

Weitergehende leistungsspezifische Anforderungen – Akutsomatik. Anhang der Zürcher Spitalliste 2023. Version 2023.1; gültig ab Januar 2023

Kriterienkatalog und Konzept HGGH Kantonsspital Baden.

Autor: R. Vorburger, N. Gutmann, M. Weibel
Authorisisert: L. Sultan-Beyer
KSW-Version: 3.0, 03/2025